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James Joyce über den Daumen

Im Hamburger Abaton-Kino wird am Samstag die Weltpremiere des „Ulysses-Daumenkinos“ von Stefanie Clemen und Katharina Hagena gefeiert

Zum Durchblättern: Bilder aus dem Ulysses-Daumenkino Foto: Stefanie Clemen

Von Wilfried Hippen

Auf die Idee muss man erst mal kommen: „Ulysses“ von James Joyce ist eines der Schwergewichte der Weltliteratur. Es ist schwer zu lesen. Viele brechen beim ersten Versuch nach ein paar Kapiteln ab und sind zurecht stolz, wenn sie es später irgendwann dann doch geschafft haben. Und es ist unverfilmbar, wie der ehrbare, aber eben doch gescheiterte Versuch von Joseph Stick von 1966 beweist.

Da könnte doch das Daumenkino ein geeignetes Medium für eine Adaption sein. Dies kam den beiden Hamburgerinnen Stefanie Clemen und Katharina Hagena in den Sinn. Die eine ist Zeichnerin, die andere Schriftstellerin und Joyce-Expertin. Zusammen haben sie schon eine Reihe von Kinderbüchern gemacht, aber vor drei Jahren hatten sie genug davon, bei ihrer Arbeit nur als „zwei Mütter aus Blankenese“ (Clemen) beurteilt zu werden.

Und die Fallhöhe hat ihren Reiz. In Daumenkinos kann man durch den sogenannten Stroboskopeffekt die Illusion einer Bewegung erzeugen, aber nach wenigen Sekunden ist das Kinostück dann schon zu Ende. Für jedes der 18 Kapitel des „Ulysees“ haben die beiden ein Daumenkino mit zwischen 36 und 156 Blättern gemacht. Immerhin haben also ihre 18 kleinen schwarzen Flipbooks mehr Blätter als der Roman Seiten.

Bei „Ulysses“ ergibt eine Nacherzählung wenig Sinn, und so sollte ein möglichst starkes Bild jedes Kapitel auf den Punkt bringen. Oft sind es Metamorphosen, die dem Bewusstseinsstrom des Protagonisten Leopold Bloom folgen.

So sieht man etwa im „Hadeskapitel“ zuerst Gräber auf einem Friedhof und dann Skelette, die bei einem Totentanz mit den Knochen wackeln. Die Musik dazu macht ein Grammophon, das aus einem pumpenden Herz herauswächst. Die Textstellen, auf die sich diese kurzen Illustrationen beziehen, sind zwar jeweils auf der ersten Seite der Büchlein abgedruckt, aber man muss den „Ulysses“ schon gründlich gelesen haben, um all die Bezüge, Wortspiele und Assoziationen zu erkennen.

Wer das Buch nicht kennt, sollte also die Hoffnung, viel zu verstehen, schnell fahrenlassen, aber „warum sollten die Daumenkinos verständlicher sein als das Buch?“ fragt Katharina Hagena, die gleich eine ganze Reihe von Gründen dafür aufzählen kann, warum das Daumenkino Joyce und seinem Werk gerecht werden kann.

Joyce machte sich Hoffnungen auf eine Verfilmung seines Romans, weil er „Ulysses“ für ein Witzbuch hielt und wollte Chaplin als Leopold Blum sehen

Für sie ist sein Werk „geprägt von kinematografischen Effekten und Techniken“ wie „Zooms, Montagen und kühnen Schnitten“. Dazu kommt ein erstaunliches Detail in der Biografie von Joyce: Er eröffnete 1909 das erste Lichtspieltheater in Irland. Und in „Ulysses“ wird sogar eine Art Daumenkino erwähnt: Das „Mutoskop“ zeigt die einzelnen Phasenbilder auf einer drehbaren Achse. Im Roman werden darauf erotische Kurzfilme gezeigt.

Joyce machte sich sogar Hoffnungen auf eine Verfilmung seines Werkes, und weil er selber „Ulysses“ für ein „Witzbuch“ (so Hagena) hielt, wollte er seinen Lieblingsschauspieler Charlie Chaplin in der Rolle von Leopold Bloom sehen. Diesen Wunsch erfüllt ihm nun Stefanie Clemen, wenn sich in einer ihrer Bildfolgen der berühmte Tramp in den Dubliner Romanhelden verwandelt und auch später immer dessen Statur und Bärtchen behält.

Clemens Strich ist offen und erinnert manchmal an Wilhelm Busch. Oft ist auf ihren Blättern nur ein Kopf, ein Körper oder ein Tier in die rechte untere Ecke gezeichnet, damit beim Blättern der Blick nur auf dessen Verwandlung oder Bewegung gelenkt wird. Sie hat einige schöne Bilder gefunden wie eine fliegende Möwe, die immer größer wird oder eine „wütende Tulpe“ in einem „Verdauungskapitel“ in dem es außerdem noch eine verdächtig deutsch wirkende Latrine mit einem geschnitzten Herzerl in der Tür gibt.

Die Details sind genau recherchiert. So etwa das Aussehen der Keksdose, die ein Mann in einem Pub nach Bloom wirft und ihn dabei verfehlt – genau wie der geblendete Zyklop mit seinen Steinwürfen die Schiffe von Odysseus nicht traf. Dies ist der einzige direkte Bezug zur Odyssee von Homer.

Drei Jahre lang haben Clemen und Hagena an ihrem Ulysses gearbeitet. Die eine hat sich bei der Arbeit eine Sehnenscheidenentzündung eingeholt und für die andere bestand die Arbeit vor allem darin, immer mehr wegzulassen. Jetzt ist er fertig und die etwa handgroßen Büchlein stecken in einem schönen Schuber in dem gleichen dunklen Blau wie die Erstausgabe des Romans.

So soll ihr Werk auch verkauft werden, aber bislang hat sich noch kein Verlag und keine Stiftung gefunden, der es herausbringt. Clemen und Hagena denken drüber nach, ob sie eine Veröffentlichung durch crowdfunding finanzieren können.

Vor allem wollen sie, dass ihr „Ulysses“ endlich in die Welt kommt, und deshalb hat er am nächsten Samstag, dem sogenannten Bloomsday, im Hamburger Kino Abaton Premiere. Einerseits ist ein Kino genau der richtige Ort für solch eine Präsentation. Doch wenn die Daumenkinos auf die Leinwand projiziert werden, ist dies auch ein Stilbruch. Denn es fehlt die haptische Erfahrung des Blätterns der Bilder mit dem Daumen. Und was der Einzelne sieht, ist nun fremdbestimmt, während jeder mit einem Daumenkino in der Hand selber entscheiden kann, wann, in welchem Tempo und in welcher Reihenfolge er die Bilder lebendig werden lässt.

Zudem wurde das in Handarbeit gezeichnete Werk im letzten Arbeitsschritt doch noch digitalisiert, denn jedes einzelne Bild musste gescannt werden. Auch montiert wurden die Sequenzen am Computer. Das Ergebnis ist ein etwa 20 Minuten langer Kurzfilm, bei dem auf der Tonspur das leise Rauschen der Seiten beim Durchblättern zu hören ist. Aber Stefanie Clemen und Katharina Hagena sind zu Gast und wer will, darf bestimmt eigenhändig ihre Daumenkinos zum Laufen bringen.

Die Welturaufführung des „Ulysses-Daumenkinos“ ist am 16. 6. um 19.30 Uhr im Hamburger Abaton Kino

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