: Die voreilige Berufung Günther Oettingers
PERSONALDEBATTE Über die Zusammensetzung der neuen EU-Kommission soll bei einem Sondertreffen entschieden werden
■ EU-Kommission: Die Mitglieder werden von den Regierungen der Mitgliedsländer ernannt und müssen vom EU-Parlament bestätigt werden. Der Italiener Rocco Buttiglioni, als Justizkommissar designiert, scheiterte übrigens 2004 an dieser Hürde – er hatte Homosexualität als Sünde bezeichnet.
■ EU-Außenminister: Dieser Posten gehört zu den Neuerungen. Der Außenminister ist Mitglied der EU-Kommission, weshalb sein Land auf einen weiteren Kommissarsposten verzichten muss.
■ Ratspräsident: Er soll kein anderes politisches Amt bekleiden. Jean-Claude Juncker, der sich – neben Tony Blair und Wolfgang Schüssel – ins Gespräch gebracht hat, müsste dann als Regierungschef Luxemburgs zurücktreten.
AUS BRÜSSEL DANIELA WEINGÄRTNER
Die Tagesordnung für den heute Abend beginnenden EU-Gipfel schrumpft. Da das tschechische Verfassungsgericht seine Entscheidung zum Lissabon-Vertrag auf den 3. November verschoben hat, soll auf einem Sondertreffen Mitte November entschieden werden, wer die neu entstehenden Posten des EU-Außenministers und des Europäischen Ratspräsidenten bekleidet. Über Personalien, erklärte Schwedens Außenministerin Cecilia Malmström kategorisch, wird vorher nicht geredet.
Erst werden die Sachfragen besprochen, dann die Posten verteilt: An diese Regel hat sich die neue Koalition in Berlin gehalten, in Bezug auf Brüssel sieht sie die Sache nicht so eng. Bevor klar ist, wie viele Mitglieder der neuen EU-Kommission angehören werden, unter welchen Bedingungen sie künftig arbeiten wird und welche Jobs noch im Angebot sind, hat Angela Merkel Günther Oettinger als neuen deutschen Kommissar nominiert. Für Kommissionspräsident Manuel Barroso ist das keine glückliche Wahl.
Schon vor dem Start haftet Oettinger der Makel des Weggelobten an. Wer wie Merkel den Job des EU-Kommissars als Trostpflaster vergibt, der schmälert damit das politische Gewicht des gesamten Gremiums. Wer gleichzeitig für Deutschland ein großes Wirtschaftsressort reklamiert, der bringt den Kommissionschef in eine ganz ungemütliche Lage. Denn er muss so manövrieren, dass das Personalpaket auch für das EU-Parlament akzeptabel ist.
Vom 30. November an werden die Kandidaten von den zuständigen Fachausschüssen des Parlaments je drei Stunden lang gegrillt. SPD und Grüne haben bereits angekündigt, dass sie aus Oettingers Anhörung gern ein Schlachtfest machen würden, weil sie ihn nicht als ausgewiesenen Europäer, sondern als Interessenvertreter der deutschen Industrie ansehen. Das könnte auch Abgeordnete aus anderen EU-Ländern gegen ihn aufbringen. Außerdem sind auch im Europaparlament abgehalfterte Regionalpolitiker nicht besonders beliebt. Schließlich lässt sich kein EU-Politiker gern daran erinnern, dass manche europäische Länder die Union als Abraumhalde für zweitklassige Talente missbrauchen.
Für deutsche Politikerkarrieren birgt der Weg nach Brüssel und Straßburg noch immer das große Risiko, in einer Sackgasse zu landen. Andere große Mitgliedsstaaten hingegen entsenden inzwischen starke Persönlichkeiten, um auf europäischer Ebene mehr Einfluss nehmen zu können. Innenkommissar Franco Frattini zum Beispiel wurde nachgesagt, Berlusconi habe ihn nach Brüssel weggelobt. Inzwischen ist er zurück in Rom – als Außenminister.
In Frankreich sind zwei politische Schwergewichte für das Amt des EU-Kommissars in der engeren Wahl. Zum einen die jetzige Finanzministerin Christine Lagarde, die lange in den USA gearbeitet hat und akzentfrei Englisch spricht. Ihr Konkurrent Michel Barnier ist weniger sprachgewandt, war aber immerhin mal französischer Außenminister. Er käme auch für das Amt des neuen EU-Außenministers in Frage. Zwischen diesen beiden und dem glücklosen baden-württembergischen Ministerpräsidenten liegen Welten.
Wenn Oettinger eine Frau wäre, könnte sich Barroso vermutlich eher mit ihm anfreunden. Wie schon vor fünf Jahren hat er auch dieses Mal die Mitgliedsstaaten in einem Brief angefleht, ihm weibliche Kandidaten für die EU-Kommission vorzuschlagen. Wie bitte schön soll er die von den Mitgliedsstaaten eingeforderte Gleichstellungspolitik umsetzen, wenn auf seiner Liste deutlich mehr Männer als Frauen stehen?
Margot Wallström hat vor ein paar Tagen gefordert, wenigstens den neuen Posten des EU-Ratspräsidenten mit einer Frau zu besetzen. „Vom demokratischen Standpunkt aus gesehen ist es einfach unmöglich, dass die Hälfte der Bevölkerung in Brüssel nicht angemessen vertreten wird“, schimpfte die schwedische Vizepräsidentin der EU-Kommission. In der engeren Wahl sind bislang der britische Expremier Tony Blair und Luxemburgs Regierungschef Jean-Claude Juncker. Die deutschen CDU-Politiker versuchen Österreichs Exkanzler Wolfgang Schüssel zu lancieren.
Wallström wird der neuen Kommission nicht mehr angehören. Mit dem 1. November endet die Amtszeit der alten Kommission, danach wird kommissarisch weitergearbeitet, bis es in der Vertragsfrage eine Lösung gibt. Sollte das tschechische Verfassungsgericht am 3. November befinden, dass der Lissabon-Vertrag mit der tschechischen Verfassung in Einklang steht, muss dann immer noch Václav Klaus seine Unterschrift leisten.
Auch ohne Personaldebatten gibt es beim EU-Gipfel genug zu besprechen. Denn es muss noch entschieden werden, wie die neuen Ämter personell und finanziell ausgestattet werden. Die schwedische Präsidentschaft hat vorgeschlagen, dem neuen Außenminister ein eigenes Budget und einen eigenen Mitarbeiterstab zu geben. Damit wäre er quasi neben Rat, Parlament und Kommission die vierte eigenständige Kraft auf EU-Ebene.
Er oder sie soll die Mitglieder des neuen diplomatischen Dienstes selbst ernennen und Chef der EU-Delegationen im Ausland werden. Ein Drittel des neuen Stabes würde aus den Außenministerien der Mitgliedsstaaten rekrutiert, der Rest aus der Außenabteilung der EU-Kommission und dem Ratssekretariat. Der neue Außenminister soll sich sowohl um die Außenbeziehungen der EU als auch um Sicherheits- und Verteidigungspolitik wie die EU-Missionen in Bosnien, Georgien und dem Kosovo kümmern. Auch die Koordinationsstelle der Geheimdienste der Mitgliedsstaaten würde ihm unterstehen. Die Verantwortung für Außenhandel, Entwicklungshilfe und Erweiterung soll jedoch im Zuständigkeitsbereich der EU-Kommission bleiben. Die Mitgliedsstaaten haben bei außenpolitischen Entscheidungen weiterhin das letzte Wort und behalten ihre diplomatischen Vertretungen im Ausland.
Wenn die Mitgliedsstaaten den schwedischen Plan akzeptieren, hätte der neue Außenminister deutlich mehr Macht und Gestaltungsmöglichkeiten als der Ratspräsident. Der muss sich mit einem kleinen Mitarbeiterstab begnügen und hat lediglich die Aufgabe, die Gipfeltreffen vorzubereiten. Dennoch gibt es bereits mehrere Bewerber für das Amt des Ratspräsidenten, wohingegen sich niemand wirklich für den Job des Außenministers zu interessieren scheint. Die Sozialisten haben lediglich angekündigt, dass sie das Amt für sich reklamieren, ohne Namen ins Spiel zu bringen. Vielleicht suchen sie ja noch nach der passenden Frau.
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