Ein Ohr für Zupfi

Zwischen Klassenkampf und Wandervogel: so präsentierte sich das politische Lied in den 70er- und 80er-Jahren. Und mittendrin Zupfgeigenhansel. Einer, der nicht aufgegeben hat, ist „Zupfi“ Erich Schmeckenbecher (59). Er hat jetzt die Romantik für sich entdeckt – ihren linken Anteil, versteht sich.

Von Thomas Rothschild

In den 60er-Jahren trafen zwei Tendenzen aufeinander, die nicht von vornherein füreinander bestimmt waren. Da war auf der einen Seite die sich radikalisierende Protest- und Bürgerrechtsbewegung, die zurückgriff auf die linken Ideale der Französischen Revolution und der Arbeiterbewegung, Rechenschaft forderte von der Generation, die den Nationalsozialismus ermöglicht, wenn nicht verschuldet hatte, und Widerstand leistete gegen den Krieg in Vietnam führte. Und da war auf der anderen Seite die Bestrebung, zu rehabilitieren, was durch die jüngste Geschichte in Mitleidenschaft gezogen worden war, in Verruf geraten war, wie der Begriff Heimat oder das Volkslied.

Der Ort der Begegnung lässt sich benennen: Es war die Burg Waldeck, wo von 1964 bis 1969 das Festival „Chanson Folklore International“ stattfand. Und in keiner einzelnen Person manifestiert sich die Symbiose dieser beiden Tendenzen so deutlich wie in Hannes Wader, der mit frechen, anarchischen Liedern begonnen hatte, die mehr mit dem französischen Chanson und dem amerikanischen Talking Blues gemeinsam hatten als mit deutschem Liedgut. Wader wurde zum „Volkssänger“ schlechthin, ohne jedoch seinen politischen Anspruch aufzugeben. Im Gegenteil: der nahm eher zu, und zwischen den Liedern gab ihn Wader auch gerne kund.

Franz Josef Degenhardt sang damals: „Tot sind unsre Lieder,/ unsre alten Lieder./ Lehrer haben sie zerbissen,/ Kurzbehoste sie verklampft,/ braune Horden totgeschrien,/ Stiefel in den Dreck gestampft.„ Das war die Perspektive der Linken. Dem gegenüber standen junge Männer und Frauen (es waren in ihrer Mehrheit Männer), die zu einem beträchtlichen Teil aus der Bündischen Jugend kamen und die Volkslieder nicht nur am Lagerfeuer und in „Gottes freier Natur“ sangen, sondern auch sammelten, auf Reisen und in aller Welt. Charismatischer Repräsentant dieser Richtung war Peter Rohland, der im historischen Jahr 1933 geboren war und bereits mit 33 Jahren starb.

Dass diese beiden gegensätzlichen Tendenzen zusammenfanden, wurde durch mehrere Umstände erleichtert. Einerseits hatten auf der Burg Waldeck, alle die Freude am Singen entdeckt, und auch ein Degenhardt suchte und entwickelte ja eine Liedkultur, die an die Stelle der „alten Lieder“ treten sollte. Er war dabei nicht allein. Die Volksliedfreunde wiederum konnten sich auf amerikanische Vorbilder wie Joan Baez oder Pete Seeger berufen. Die hatten es ja einfacher als die Deutschen: Ihre Überlieferung war nicht von Stiefeln in den Dreck gestampft worden.

Die Übertragung dieser Haltung auf das deutsche Lied rechtfertigte dann schließlich eine Publikation aus der DDR: „der Steinitz“. Die monumentale Sammlung von Wolfgang Steinitz aus den Jahren 1954 und 1962 erinnerte an die verdrängte und vergessene Tradition des demokratischen, gegen die Herrschaft gerichteten Volkslieds. Hier konnte man sich nun bedienen, ohne in den Verdacht völkischer Nostalgie zu geraten, hier schloss auch die institutionalisierte Volksliedforschung in Freiburg im Breisgau an. Damit konnte selbst ein Degenhardt leben.

Die Volksliedinterpreten schossen damals aus dem Boden wie die sprichwörtlichen Pilze nach dem Regen. Die Texte waren oft kämpferisch oder klagten offen oder in verschlüsselter Form soziale Missstände an, der Vortrag aber kontrastierte mit seinem freundlichen Gestus mit der aggressiven Pose des in jenen Jahren konkurrierenden Rock. Hier vertrieb eine wild gestikulierende Edgar Broughton Band, „Out Demons Out“ brüllend, den Feind, dort säuselte man im trauten Kreis „Jetzt, Brüder, eine gute Nacht“. Die erfolgreichste Gruppe, die sich dem fortschrittlichen Volkslied, nicht nur deutscher Herkunft, widmete, war ein Duo, das sich nach einem Liederbuch des Wandervogels benannte: Zupfgeigenhansel. Erich Schmeckenbecher und Thomas Friz reisten von Konzert zu Konzert, von Jugendclub zu Festival und von Festival zu Jugendclub, nahmen eine Schallplatte nach der anderen auf, bis sie sich 1986 trennten. Zusammen haben sie über eine Million Tonträger verkauft.

Erich Schmeckenbecher hat aber nicht aufgegeben. Er glaubt mit unverbesserlichem Optimismus an die aufklärerische Kraft des Liedes, darin Pete Seeger vergleichbar, wenn er auch, nicht ohne Verbitterung, feststellen muss, dass die Medien dafür kein Ohr und erst recht keine Sendeplätze mehr haben. Man kann darüber streiten, woran das liegt: an der veränderten politischen Situation, an der zunehmenden Kommerzialisierung des Kulturbetriebs, an neuen ästhetischen Normen und Technologien. Wahrscheinlich spielt das alles zusammen, und dass es einen Sänger und Liedermacher schwerer trifft als den durchschnittlichen Musikkonsumenten, versteht sich von selbst. Er leidet, wie der Puppenspieler oder der Lautenspieler, wie alle leidenschaftlichen Vertreter einer Minderheitenkultur, die vom umsatzsteigernden Mainstream marginalisiert werden.

In jüngster Zeit hat sich Erich Schmeckenbecher mit dem Begriff der Romantik herumgeschlagen und mit einer allzu simplen Auffassung, die in ihr nur eine rückwärtsgewandte, reaktionäre Haltung, gar einen Wegbereiter des Nationalsozialismus entdeckt. Im Grunde ist die Romantik ähnlich ambivalent, wie es die klassische Jugendbewegung und der Wandervogel, wie es das Liederbuch „Zupfgeigenhansel“ und viele darin enthaltenen Lieder waren, und alle miteinander haben im Lauf der Geschichte ihren (politischen) Stellenwert mehrfach verändert. Es gibt bekanntlich sogar Lieder, die von der HJ und von den sozialdemokratischen und kommunistischen Organisationen mit geringfügigen Textabweichungen gesungen wurden.

Auf der live aufgenommenen CD, die Erich Schmeckenbecher jetzt unter dem Titel „Der Vogel Sehnsucht“ herausgebracht hat, findet man neben vertonten Gedichten der Romantik traditionelle Volkslieder und Lieder, die Schmeckenbecher im Geiste dieser Vorbilder getextet und vertont hat. Auch „Kein schöner Land“ ist dabei, in einer Version von Dieter Süverkrüp, der auf der Waldeck mehr noch als Degenhardt für das neue politische Lied stand. Da sind sie wieder beisammen, die beiden Tendenzen, die in den sechziger Jahren aufeinandertrafen.