Die Nächsten, bitte

Mit Marcell Jansen und Lukas Sinkiewicz testet Bundestrainer Klinsmann zwei weitere Debütanten

BERLIN taz ■ Marcell Jansen und Lukas Sinkiewicz stehen auf dem Dach und genießen die Aussicht über die Stadt. Rechts von ihnen streckt sich der Fernsehturm wie ein riesiger Spargel in den blauen Himmel, links glitzert das Zeltdach des Sony-Centers in der Sonne. Man hat von hier oben wirklich einen grandiosen Blick, und auch Marcell Jansen und Lukas Sinkiewicz merkt man an, wie beeindruckt sie von diesem Panorama sind. War wirklich eine prima Idee von Bundestrainer Jürgen Kinsmann, die jungen Männer, beide erst 19 Jahre alt, nach Berlin einzuladen und mithin zur deutschen Fußball-Nationalmannschaft. Die Hauptstadt ist schließlich immer eine Reise wert.

Einen Tag später sitzt Joachim Löw im kleinen Konferenzsaal eines Sponsors und sagt: „Wir fühlen uns sehr, sehr wohl in Berlin.“ Auch zu Jansen und Sinkiewicz sagt der B-Bundestrainer etwas, nämlich „dass es sicherlich geplant ist, dass sie auch spielen“, sonst, fährt Löw fort, hätte man die beiden ja nicht einzuladen brauchen. Wann, ob am heutigen Samstag in Bratislava gegen die Slowakei oder nächsten Mittwoch in Bremen gegen Südafrika, und wie lange die beiden Neuen eingesetzt werden, sagt Löw freilich nicht.

Letztendlich ist das aber auch egal. Man kann ohnehin davon ausgehen, dass die beiden Abwehrspieler bis auf weiteres nicht mehr sind als eine vorübergehende Episode in jener Wundertüte, zu der Bundestrainer Klinsmann in seiner mittlerweile einjährigen Schaffenszeit die deutschen Nationalmannschaft gemacht hat. Statistisch gesehen sind Jansen und Sinkiewicz die Klinsmann-Debütanten Nummer zehn und elf, so richtig durchgesetzt aber hat sich von all jenen nur der Hannoveraner Per Mertesacker, der derzeit als Abwehrchef ziemlich unumstritten ist. Lukas Podolski und Bastian Schweinsteiger, die beim Confederations-Cup so nett von sich reden machten, standen wiederum schon unter Klinsmann-Vorgänger Rudi Völler im DFB-Kader. Vielleicht muss man es Jürgen Klinsmann zugestehen, dass er noch ein bisschen üben muss, schließlich ist das Bundestraineramt sein erster Job als Fußballlehrer, also: Woher soll er es können? Andererseits gibt es mittlerweile nicht wenige Stimmen, die anmahnen, die Zeit der Experimente und des Übens müsse nun, 279 Tage vor WM-Beginn, endlich ein Ende finden – und die Mannschaft langsam aber sicher ein festes Profil. Sogar Mannschaftskapitän Michael Ballack, dem Bundestrainer ansonsten eher loyal verbunden, fordert neuerdings ungewohnt offen: „Wir müssen uns einspielen.“ Bleibt nur noch die Frage: Mit welchen Spielern?

Rund vierzig Akteure, so heißt es, stehen unter der ständigen Beobachtung der Bundestrainer Klinsmann und Löw, entsprechend groß war in der Vergangenheit das Kommen und Gehen. Doch nicht nur das Personal wechselte Klinsmann munter aus, selbst bei seiner Spielphilosophie scheint der schwäbische Wahlkalifornier äußerst variabel zu sein:

Warb er zunächst für einen durch und durch von Offensive geprägten Jugendstil, kehrte zuletzt wenigstens ein kleiner Funke Realitätssinn zurück – und mit ihm prompt die defensiv ausgerichteten Altnationalen Hamann und Wörns. Ersterer wurde für die Spiele gegen die Slowakei und Südafrika freilich schon wieder aussortiert; auch Robert Huth, beim Confed-Cup noch als beinharte, wenn auch leicht fehlerhafte Abwehrhoffnung gefeiert, traf diesmal der Bannstrahl. Vor allem die Abwehr, in beinahe allen Partien unter Exstürmer Klinsmann die Achillesferse, hat durch all die Bäumchen-wechsel-dich-Spiele an Stabilität kein bisschen dazugewonnen.

Dass nun ausgerechnet zwei 19-Jährige die Löcher im Käse stopfen und die Defensive konkurrenzfähig machen können, muss nicht angenommen werden. Jürgen Klinsmann freilich ficht das bis auf weiteres nicht an. „Die Jungs sind voller Vorfreude, sie wollen sich positionieren“, sagt er. Und sei es auch nur auf einem Dach über Berlin.

FRANK KETTERER