Wir, die Frauen, sind Merkel!

VON SUSANNE LANG

Sage eine, dieser Wahlkampf wäre nicht aufregend! Was haben wir nicht alles erfahren dürfen, wir, die Frauen. Hirnforschung zum Beispiel. Großes Thema. Auch für Angela Merkel, die lieber darüber spricht als über die Relativitätstheorie, schließlich erwarte da keiner, dass „ich etwas davon verstehe“. Wir, die Frauen, nicken da im Geiste, sympathisch, keine Frage. Plötzlich hat Angela Merkel entdeckt, dass sie eine Frau ist! Plötzlich spielt sie ihre Frauenkarte (einen „bestimmten Humor, eine manchmal andere Sprache“). Kuschelt mit den vielen Wählerinnen, deren Stimmen auch diesmal entscheidend sein werden (siehe Kasten). Vor allem aus den urbanen Milieus, deren Stimmen Merkels Hegemonie innerhalb der CDU stützen sollen. Vor zwei Wochen begann die heiße Phase dieses Wahlkampfspins, mit einer Plauderei in Brigitte über Ehe (nicht Liebe, obwohl „das keine Alternative ist“), über Frauenbekenntnisse („Vom Typus her bin ich eine gute Freundin“) und Frauenprobleme („eine Frau, die Kinder erzieht, macht wahrscheinlich erst später politische Karriere“).

Angela Merkel, das frisch inszenierte weibliche Machtidol in Deutschland, will sie alle kriegen: die „Work-Life-Balance“-Zielgruppe von Brigitte genauso wie feministische Visionsromantikerinnen, die sich gerne in der Emma, im Frauenmagazin mit Führungsstärke, selbst vergewissern. Ausgerechnet dort spricht Merkel im aktuellen Heft jedoch nicht über ihre Vorstellungen von einer Politik, die Frauen im Alltag gleiche Chancen ermöglicht wie Männern. Sie bekennt sich lieber zu ihrem Frausein. Merkel, die zum Zeitpunkt ihrer Ernennung zur Kandidatin jede Frage nach dem Geschlechterunterschied achselzuckend überging, wundert sich heute lächelnd in Emma, warum sie die Vorzüge des Frauseins nicht längst für sich entdeckt hat: „Wenn ich jetzt zurückblicke, verstehe ich gar nicht, dass ich nicht schon früher auf meinen jetzigen Schnitt gekommen bin.“ Wir, die Frauen, nicken freilich schon wieder im Geiste, haben wir es doch auch nicht verstanden, wie sie sich so – also diese Frisur …

Der Spin ist nicht so falsch. Wir, die Frauen, würden ihr aus der Telenovela-Metamorphose nie einen Strick drehen, wir lieben ja strahlende Gewinnerinnen, wir sind ja auch nur Menschen. Es ist nicht nur legitim, den Medienberatern zu folgen, es ist clever, und wir, die Frauen, legen Wert auf Cleverness! Aber würden wir, die Frauen, ihr dafür ein Kreuz machen? Dafür, dass sie als Frau die Kanzlermacht zur Chefsache macht?

Aber ja, hört man plötzlich überall – das macht diesen müden, lethargischen jammerlappigen Wahlkampf doch so aufregend! Das Frausein ist der Gimmick in der Krise, ein apricotfarbener Hoffnungsschimmer. Was schließlich so lange gefehlt hat, war ein Rolemodel, ein Vorbild für uns, die Frauen. Merkel arbeitet hart daran. Raus aus der Unsichtbarkeit, ran an die Front, beweisen, dass sie mithalten kann.

Praktischerweise tummeln sich genau an dieser Führungsfront bereits ein paar Geschlechtsgenossinnen, die nur darauf gewartet haben, dass es eine endlich ins höchste Regierungsamt schafft, dass sie die Frauenpower endlich exekutiert. Was Liz Mohn, heimliche Bertelsmann-Chefin, oder Verlegerin Friede Springer im Medienbereich an Nährboden bereitet haben, soll endlich Früchte tragen. Beide zählen sich zu den prominenten Unterstützerinnen von Merkel, man steht in freundschaftlich zugeneigter Verbindung. Offiziell macht keine Werbung; Networking von uns, den Frauen, läuft subtiler.

Auch Emma-Herausgeberin Alice Schwarzer weiß darum und macht persönlich den Merkel-Wahlcheck („Warum sollten wir Sie wählen?“), indem sie sich sachte an die Vorbildkarrierepolitikerin anschmiegt. Bei der Kandidatur von Gesine Schwan für die Bundespräsidentschaft im Jahr 2004 wollte Schwarzer noch nicht für die Frau als Frau trommeln, mit einer wiederum sehr aufregenden Begründung: „Ich verwechsle schon lange nicht mehr das, was ich mir wünsche, mit dem, was in der Realität passiert.“ Wie praktisch doch, dass sich im Fall von Angela Merkel Wunsch und Realität von selbst decken: Die Sehnsucht nach der Alphafrau materialisiert sich endlich in der Realität.

Vergessen, dass Schwarzer 2002 nach Merkels Kandidaturniederlage gegen Edmund Stoiber keine großen Karten auf die Unionsfrau setzte: Merkels Problem sei das Nichtdazugehören, befand sie damals. Männer dächten „im Traum nicht daran, eine Schwanzlose in ihre Wettpissrunden aufzunehmen“. Jetzt hat sie sich dazwischengeboxt. Und wir, die Frauen, gratulieren. Ein direkter Draht ins Kanzleramt! Genau dafür haben wir ja gekämpft, wir Frauen! Und schon blitzt bei den vielen Wir-Frauen ein Begehren im feministischen Psychogramm wieder auf: die Verheißung, dass eine andere Welt möglich sei.

Dass ausgerechnet Angela Merkel dafür nicht einstehen wird – geschenkt! Merkel gibt in Sachen Gleichstellungspolitik lieber die Analystin: „Wir erleben ja durch die Globalisierung eine zunehmende Konkurrenz zwischen wirtschaftlicher Opportunität und Menschenrechten. Da bleiben Frauenrechte dann natürlich ganz schnell auf der Strecke“, stellt sie in Emma fest. Angela Merkel, die im schönen, frischen Frauenlook die Zeichenwelt der medialen Politik bereichert hat, den Schwerpunkt auf Ökonomie setzt.

Die Oberflächenmetamorphose vom Kohl-Mädchen zur Alpha-Frau wird konsequenterweise von diesem Wahlkampf nachhaltig in Erinnerung bleiben. Denn ihre Wirkung hallt nach: Schon jetzt kriechen all die kleinen Merkels aus ihrem Mannschattendasein, die Gräfin Pilatis (obwohl mit Rudolf Scharping verheiratet), Ulla Kock am Brinks, oder Sabine Christiansens, die im Umfeld von Merkel einen festen Platz gefunden haben. Eine triumphale Verschwesterung – für beide Seiten. Die Message der Machtmutigen ist klar: Was eine schafft, kann jede schaffen. „ ‚Geht nicht‘ gibt’s nicht“, so sagt es das Merkel-Original.

Hier leben die alten Parolen jenes Karrierefeminismus wieder auf, den Alice Schwarzer lange Zeit mit Statements immerhin bedauert hat. Gerne dann, wenn es um die nachfolgende junge Girlie-Generation ging, die ja nur mehr individualistisch durchs Leben strauchle. Kollektive Frauenbewegung, Solidarität, Gleichstellungskampf? Keine Ahnung mehr davon.

Umso schöner, dass die neuen Frauensolidarischen nun frauenmachtbewegt mit Angela Merkel ihre Chance wittern. Und damit möglichst viele von uns, den Frauen, vom Wind des Opportunismus beflügelt, die Vision der Machtübernahme realisieren, gründet die „schöne Freundin“ (Bild) von Laurenz Meyer, Exgeneralsekretär der CDU, einen Frauenbund namens „Victress“; Motto: „Mut zur Macht“ Am Montag wird zum ersten Mal getagt, in Berlin. Und Frau Angie Merkel kommt auch, abends zur Party, das Idol – ihr Idol. Wir sind ja alle Merkel, wir, die Frauen!