Mitte: Klienten kontrollieren Sozialarbeiter

KINDERSCHUTZ Familienbetreuer des Bezirks müssen ihre Stunden ab dem 1. November von ihren Klienten abzeichnen lassen. Wohlfahrtsverbände halten das aus pädagogischen Gründen für unangebracht

„Nach dem, was vorgefallen ist, machen wir das natürlich mit“,

UWE MANN VAN VELZEN, SPRECHER DES RAUHEN HAUSES

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser – nach diesem Motto führt der Bezirk-Mitte ab dem 1. November ein neues Abrechnungssystem bei den Familienhilfen ein. Künftig sollen die Klienten die Stunden abzeichnen, die ein Sozialarbeiter in ihrer Familie verbringt. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass wir das als zusätzliche Sicherheit brauchen“, sagt Bezirkssprecherin Sorina Weiland mit Verweis auf den Fall des im März mit starkem Untergewicht gestorbenen Babys Lara. Der jungen Mutter war eine Betreuerin des Rauhen Hauses mit fünf Stunden die Woche zugeteilt, tatsächlich war sie aber seltener vor Ort.

Mit seiner Ankündigung hat sich Bezirk-Mitte-Chef Markus Schreiber (SPD) Ärger eingehandelt. Die Sozialbehörde, die CDU-Fraktion und die Wohlfahrtsverbände protestierten. Und auch der Träger Rauhes Haus ist skeptisch. „Nach dem, was vorgefallen ist, machen wir das natürlich mit“, sagt Sprecher Uwe Mann van Velzen. Die Hilfe bestehe aber nicht nur aus „Face to face“- Kontakten, sondern auch aus „Hintergrundarbeit“ wie Wohnungssicherung oder Gesprächen mit Eltern und Lehrern.

„Wie will man diese Dinge dokumentieren?“, fragt auch Sozialbehördensprecherin Jasmin Eisenhut. Nach dem Tod von Lara sei eine Arbeitsgruppe aus Vertretern der Behörde, der Bezirke und den Trägern zu dem Fazit gelangt, dass Stundennachweise „fachlich weder notwendig noch sinnvoll“ seien. Schreiber habe die Sozialbehörde nicht in Kenntnis gesetzt, dass er die Maßnahme zum 1. November starte. Eisenhut: „Wir schauen jetzt, wie wir damit umgehen“.

„Mehr Bürokratie rettet nicht vor Kindesvernachlässigung“, mahnt auch der CDU-Jugendpolitiker Stephan Müller. „Der Fehler bei Lara war, dass der Aspekt Kindeswohl gar nicht in den Hilfeplan aufgenommen wurde“.

Die Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege (AGfW) kritisiert, dass Mitte hier „Kompetenzen überschreitet“, sei die Abrechnung doch in Verträgen geregelt, die Träger und Behörde schließen. AGfW-Jugendhilfe-Expertin Gabi Brasch hat „pädagogische Bauchschmerzen“. Es könnte es sein, dass Jugendliche sich weigern, zu unterzeichnen, wenn sie gerade „sauer ist auf einen Sozialpädagogen sind“, auch wenn der Hilfeprozess gut laufe und notwendig sei.

Die Bezirksverwaltung spricht von einem „Pilotprojekt“ und hält an der Idee fest. „Wenn man dokumentiert, wie viele Stunden der Betreuer tatsächlich vor Ort gewesen ist und wie viele Stunden Büroarbeit geleistet wurden, dann ist das eine Hilfe“, sagt Sorina Weiland. Bei der Pflege sei dies „Gang und Gäbe“. KAIJA KUTTER