Flaneur wird zum Fan

Bremer Musikfest begeistert Nachtschwärmer in der Innenstadt und wartet mit meist bewundernswerten modernen Klängen klassischer Stücke auf

bremen taz ■ „Eine große Nachtmusik“ eröffnete das 16. Musikfest Bremen – und das Publikum wird einfach kunterbunt wegilluminiert auf dem lichtgeschmückten Marktplatz. Passanten schwirren wie Nachtfalter durch Bremens gute Stube, streben Konzertsälen zu, wo Kunsthäppchen als Appetitanreger fürs Musikfest gereicht werden.

Etwa Klaus Maria Brandauer. Kokett durchstreift der Schauspieler Literatur, schlendert mit warmer Stimme durchs Wortgeflecht, serviert hier ein Betonungs-, dort ein Mimikhäppchen, hält dann mit Präzision inne, skizziert gestisch Musikalität. Mit erfrischend unpathetischer Theaterkraft vermittelt Brandauer im Oberen Rathaussaal den ästhetischen Genuss, Sätze während des Lesens zu denken. Was gelesen wird, ist da fast egal. Gefeiert wird die Haltung künstlerischen Flanierens.

Die Gefahr dabei führt der Auftritt der Banda Mantiqueira im Innenhof des Landgerichts vor Ohren: Langeweile. Wird mit Berimbau und Schlagzeug einmal kurz die polyrhythmische Elastizität brasilianischer Musik vermittelt, folgt sofort ein ödes und verstaubtes Bigband-Arrangement, mit dem über jeden vitalen Ausdruck hinwegflaniert wird.

Eine hellwache, von Lebensenergien durchpulste Flanerie feiern hingegen Kim Kashkashian und Robyn Schulkowsky. Sie bringen in der Glocke die dunklen Farben, die volksmusikalische Archaik und auch das Tanzfidele von Luciano Berios „Naturale“ zum Leuchten. Kashkashian spielt die Viola bis sie singt: sizilianische Folksongs, die Berio als Ausgangspunkt seiner Komposition gewählt hat. Da wird der Flaneur zum Fan. Und die Nachtmusik ist endlich erwacht.

Apropos Nachtmusik: In Sachen Mozart sind viele anspruchsvoll geworden: Den Glanz der Aufnahmen von Nikolaus Harnoncourt oder John Eliot Gardiner mögen viele nicht mehr missen. Der französische Dirigent Marc Minkowski geht in dieser Richtung einen ganz eigenen Weg: mit der Wiedergabe der „Jupiter-Sinfonie“. Minkowski arbeitet das Rebellische des Werkes so extrem aus, dass es den Zuhörer regelrecht vom Sitz reißt, so schroff ist seine Tongebung und so peitschend seine Rhythmusbehandlung.

Dazu Hervé Niquet, der mit seiner „Le Concert Spirituel“ geistliche Musik von Marc-Antoine Charpentier spielt. In der Besetzung von Blockflöten und Streichern, von Viola da gamba und Theorbe, zeigt sich Klangfarbe. Und zusammen mit den 22 SängerInnen führt Niquet das Kyrie und Te Deum zu strahlender Expression.

Kein Zweifel: Beim Musikfest wird das Publikum überall mit den Spitzen heutiger Interpretation verwöhnt. Und der Flaneur frohlockt.

Jens Fischer /

Ute Schalz-Laurenze

Die nächsten Termine mit Marc Minkowski: 6. und 8.9. „Mitridate“ (Oper von Mozart), heute abend in Wilhelmshaven Mozarts letzte Sinfonien.