Nils Schuhmacher Hamburger Soundtrack↓: Verantwortung für alles
Die Öffentlichkeitsfahndung der Hamburger Polizei nach mutmaßlichen Straftätern im Zusammenhang der Proteste gegen den G20 ist in eine neue Runde gegangen. Die Kritik wurde von Seiten der Oberstaatsanwaltschaft souverän gekontert: Was wiegen Argumente wie ‚Stigmatisierung‘, ‚Unkontrollierbarkeit‘ und ‚Schutz von Minderjährigen‘ schließlich gegen Argumente, wie ‚geht eben nicht anders‘ und ‚auch für Minderjährige gilt die Strafprozessordnung‘. Letztlich muss man sagen: Am schwersten wiegt ohnehin, dass man heute sowieso nicht mehr genau sagen kann, wer 14 oder 18 oder sonst was ist.
Das ist nicht zuletzt eine zentrale Lehre der Popkultur, die einen schnell juvenil werden und dann immer bleiben lässt. Eine zweite Lehre lautet, dass jeder Folk Devil aus einer Hölle kommt, in der neben Intellektuellen auch Musiker den Rhythmus vorgeben, nach dem dann die Gewalt tanzt (dies gilt wohlgemerkt nur für die eine Seite. Die Polizei hat zwar einen „Sound“ [KRS-One], aber keinen Rhythmus). Genug subversives Personal, das sich für einen kritischen Blick anbietet, wenn erst mal alle abgelichtet worden sind, ist jedenfalls vorhanden.
Nahe liegt hier Body Count (5. 6., Große Freiheit). Die Songs der um den Rapper Ice-T gruppierten Crossover-Band („Cop Killer“, „No Lives matter“) prangern immer wieder „Rassismus“ und „Polizeigewalt“ an und haben damit die Stimmung unnötig aufgeheizt.
Es fällt einem aber auch Funny Van Dannen (3. 6., Elbphilharmonie) ein. Man hat sich landläufig darauf geeinigt, dass dieser Songwriter ein Händchen dafür hat, unseren öden Alltag mit skurrilen Bildern und vielen Tiermetaphern treffsicher einzufangen. Aber wer gleichzeitig Zeilen verantwortet wie: „Ich will den Kapitalismus lieben, aber schaff es einfach nicht“, der muss sich natürlich schon fragen lassen, ob er nicht auch eine Mitverantwortung für alles trägt.
Oder schließlich: Joan Baez (31. 5., Mehr!-Theater). Die Grande Dame des Folk ist vielen als eine Galionsfigur der Antikriegsbewegung bekannt. Aber „Here’s to you“ ist eine Hommage an die in den USA hingerichteten italienischen Anarchisten Sacco & Vanzetti. Anarchisten! Kein Wunder, dass es „so“ kommen musste.
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