SEIENDE SCHUHE
: Geheideggerte Kunst

Er hatte ein Paar Schuhe gebraucht

Wenn Manni sie fragte, wo sie die Nacht verbracht hatte, antwortete Biene manchmal mit einem Blick aus verquollenen Augen. Dass sie mit Heidegger das Fest des Denkens gefeiert und herauszufinden versucht hatte, was im Kunstwerk west, brauchte Manni ja nicht wissen. Dass sie zum Wesen des Zeugs vorgedrungen war, das der Bauernphilosoph in van Goghs „Ein Paar Schuhe“ zu erkennen glaubte. Die bäuerliche Mühsal der Feldarbeit, der schnapsschwere Leib des Bauern – im Werk war es am Werk als Wahrheit der Bauernschuhe als ihr Seiendes. „Ein Seiendes, ein Paar Bauernschuhe, kommt im Werk in das Licht seines Seins zu stehen.“ Oder einfach: „Das Sein des Seienden kommt in das Ständige seines Scheinens.“

Dumm nur, dass van Gogh die ausgelatschten Stiefel nicht auf dem Land, sondern auf einem Pariser Flohmarkt entdeckt hatte und dass sie gar keiner Bäuerin und keinem Bauer gehört hatten, sondern einem alten Suffkopp, der sie von einem anderen Suffkopp hatte, der eines Nachts beim Pinkeln in die Seine gefallen war – ohne Schuhe. Den Maler selbst hatte die Herkunft der Schuhe übrigens nicht groß interessiert. Er hatte schlicht ein Paar Schuhe gebraucht. Und wo nimmt man die her, wenn man klamm ist? Dass ihn der Schuh gedrückt hatte, war natürlich ärgerlich gewesen. Ihn zu malen barg immerhin die Chance, mit dem Verkauf des Bildes das rausgeworfene Geld wieder reinzuholen.

Biene hätte Manni auch noch von Meyer Schapiro erzählen können, der Heidegger vorgeworfen hatte, seine finstere Schlafmützenphilosophie in das Bild hineinzulesen, anstatt das Malerische daran zu würdigen. Oder von Derrida, der bezweifelte, ob van Goghs Gemälde überhaupt ein Paar Schuhe darstellte. Wieso nicht ein Nudelholz? Aber wozu eigentlich? Ein Blick aus verquollenen Augen tat es ja auch. SASCHA JOSUWEIT