Inges Partei

AUS BERLIN GEORG LÖWISCH

Jetzt haben sie ihr wieder 2,2 Millionen abgeschwatzt. 25 Millionen für den Wahlkampf hatte sie schon rausgerückt, obwohl ein Jahr weniger Zeit zum Ansparen war, und dann wollten sie wieder mal mehr. Aber die kleine Frau im fünften Stock der SPD-Zentrale sieht nicht böse aus. Na ja, so ist das. Gerhard macht ja wirklich viel und Franz auch. Und es sind eben die vielen Auftritte, die ins Geld gehen. So ’ne Wahlkampfveranstaltung mit Sicherheit und allem Drum und Dran, unter 60.000 pro Termin kommt man da nicht weg.

Man kann sich Schröder und Müntefering als Jungs vorstellen, wie sie beim Sonntagskaffee mit ihren leer gefutterten Kuchentellern zur großen Schwester kommen und beteuern, dass sie ihre Hausaufgaben gut gemacht haben. Inge Wettig-Danielmeier lächelt. Sie sagt: „Da muss es einen Nachschlag geben.“

Sie liebt diese Partei, sie hat der SPD ihr Leben geschenkt. Von der jungen Kreistagsabgeordneten hat sie sich zur ersten Frau hochgearbeitet, die im Zentrum des Parteiapparats die Hebel umlegt. Fast nie haben die Genossen sie für ihren Einsatz in die Arme geschlossen. Viele fanden sie nervtötend. Aber jetzt, vor ihrem Abschied als Bundestagsabgeordnete, wirkt sie zufrieden.

Sie sitzt im Berliner Willy-Brandt-Haus in einem weiten, blauen Sommeranzug. Es ist ein herrlicher Nachmittag. Man spürt nichts davon, dass die SPD mit Schröder und Müntefering gerade auf eine Niederlage zusteuert. In einer Stunde wird der Fahrer den Audi holen, und dann geht es nach Potsdam rüber in die Orangerie im Neuen Garten, wo das SPD-Forum Ostdeutschland Stolpe als Vorsitzenden verabschiedet. Sie sagt nicht Stolpe, sondern Manfred. Sie duzen sich ja alle in der Partei.

So sehr viel heißt das Du in der SPD natürlich nicht. Als sie 1991 zur Schatzmeisterin gewählt werden sollte, duzten sie die Genossen ebenfalls. Sie bekämpften sie trotzdem. Lafontaine hielt sie für zu rechts, und mit Schröder hatte sie sich schon jahrzehntelang bekriegt. „Klose, der gewesene Schatzmeister und neue Fraktionschef, fand mich völlig minderbemittelt, und Blessing, der Bundesgeschäftsführer, meinte, dass ich Haushaltsfragen bestimmt gut lösen könne, aber nur im Privathaushalt.“

Der Vorsitzende der SPD war damals jedoch Björn Engholm, und wenn sie erzählt, wie er sie an jenem Abend in Göttingen anrief und fragte, ob sie das Amt übernehmen wolle, spürt man, dass er der einzige SPD-Mächtige gewesen sein muss, der sie mochte. „Ich hab gesagt, Björn, du Scherzkeks, lass den Quatsch. Er hat gesagt: Du machst es, oder der Posten bleibt unbesetzt. Ich hab niemanden, dem ich so vertrauen kann.“

Sie war nicht nur die erste Frau in dem Amt, sondern seit langem die Erste, die den alten Apparat nicht vor sich hin rumpeln ließ. Als sie kam, ließen die Mitarbeiter sich in andere Winkel der Bonner Parteizentrale versetzen. Sie vergab die frei werdenden Jobs konsequent an Frauen. Die Männer schäumten: Die Quotenkönigin holt auch noch Quotenfrauen!

Aggression und Männerzirkus

Wenn sie auf Gremiensitzungen etwas vortrug, schüttelte der ihr unterstellte Revisor wissend den Kopf. Sie konnte ihn nicht rausschmeißen. Stattdessen schmeichelte sie ihm, indem sie stundenlang sein Herrschaftswissen abfragte. Nach und nach arbeitete sie sich durch das Kassen- und Beteiligungssystem, sortierte und räumte auf. In ihrem Büro brannte nach 22 Uhr noch Licht.

Wenn sie von dieser Zeit spricht, lacht sie manchmal. Aber dann lässt sie wieder die erste Silbe jedes Wortes hart aufschlagen. Empört klingt das. So ist es auch, als sie erzählt, wie sie vor 40 Jahren um ihren Namen gekämpft hat. „Der Standesbeamte hat einen Aufstand gemacht“, sagt sie, lacht und beschreibt, wie sie auf dem Amt eine Stunde lang gestritten hat. „Es ging mir um meine Identität.“ Jetzt klingt es wieder nach Kampf. „An der Uni traf ich auf richtige Aggression, und im Kreistag haben die Männer einen Zirkus aufgezogen.“

Wettig-Danielmeier war die erste Doppelnamen-Sozialdemokratin. Sie traf in der Partei Frauen, denen der eigene Name ebenso viel bedeutete. Zeul heiratete Wieczorek, Gmelin nahm Däubler und Sperk Skarpelis. Es waren die Frauen, mit denen sie die Quote für alle Ämter und Mandate erkämpfte. „Ich war bis dahin durch die Gegend getingelt, bin allen Leuten auf den Geist gegangen und habe gesagt: Nächste Wahl dort und dort wird ein Wahlkreis frei, wie sieht es mit Frauen aus? Das war ’ne Schweinearbeit.“

Sie war erfolgreich als Frauenpolitikerin. „Sie ist eine Pionierin der Gleichberechtigung“, urteilt die gleichaltrige Rita Süssmuth von der CDU heute. „Wir haben gemeinsam dafür gearbeitet, die SPD zu einer Partei zu machen, in der Frauen selbst etwas bewegen“, sagt Heidemarie Wieczorek-Zeul. „Wir waren eine Kampfgemeinschaft“, sagt Sigrid Skarpelis-Sperk. „Bei allen Eifersüchteleien, die es nicht nur unter Hähnen, sondern auch unter Hennen gibt.“

Vielleicht hat die Arbeit mit den anderen Sozialdemokratinnen sie begeistert. Oder es lag daran, dass die SPD ihr eine Welt eröffnete, der Tochter einer Textilhändlerin und eines Bauingenieurs, der nicht aus dem Krieg zurückgekehrt war. Jedenfalls war sie bereit, für eine Partei zu ackern, die sie immer wieder wegstieß. „Sie hat es schwer gehabt mit der SPD“, sagt Wieczorek-Zeul. „Sie war nie ein Darling der Partei“, sagt Skarpelis-Sperk.

Sie quälte sich. Sie saß für die SPD im Landtag und zog gleichzeitig ihre drei Töchter groß. Familienfrühstück in Göttingen, dann Abfahrt nach Hannover. Es kam vor, dass sie es mit Müh und Not geschafft hatte, alles zusammenzuorganisieren, und dann ließen die Männer in letzter Minute die Termine platzen.

Als sie Schatzmeisterin geworden war, hat sie 2.000 Bettelbriefe für die Partei unterschrieben, hinterher musste sie zur Krankengymnastik. Sie hat sich mit dem Betriebsrat angelegt, als die Personalkosten drückten. Sie hat die Mitarbeiter gegen sich gehabt, als die Partei beschloss, zügig nach Berlin zu ziehen. Lief es gut, tuschelten die Genossen: Ihr Mann, der ehemalige SPD-Europaabgeordnete Klaus Wettig, das ist doch der wahre Schatzmeister. Lief es schlecht, wurde gelästert: Der Klaus pfuscht ihr ja rein wie dem Bill Clinton seine Hillary. Vor Parteitagen hieß es immer wieder: Jetzt wird die Inge entmachtet. Und am Schluss haben sie sie doch wieder gebraucht.

An einem Wochenende im Februar 2003 wurde ihr schwindelig. Sie ließ sich ins Krankenhaus bringen. Der Gleichgewichtssinn war ausgefallen. Es war nach dem Niedersachsen-Wahlkampf. „Wir hatten gerade maximalen Stress hinter uns.“ Sie sagt nicht: „Ich hatte Stress“. Obwohl es ja ihr schlecht ging. Sie erholte sich.

Nächstes Jahr wird sie 70. Abgeordnete wird sie dann nicht mehr sein. Ob sie das Pateiamt aufgibt, lässt sie offen. „Die Schatzmeisteraufgaben sind zu wichtig, um Zufällen in die Hand zu fallen.“

Björn, Gerhard, Oskar, Franz

Sie hat das Amt schon über 13 Jahre. „Die beste Zusammenarbeit hatte ich mit Björn Engholm, das ist eindeutig. Scharping – ein anständiges Verhältnis. Oskar, mit ihm bin ich gut ausgekommen, er war überaus korrekt. Über Gerhard kann ich dasselbe sagen. Mit Franz habe ich immer wieder Differenzen über unsere finanzielle Leistungsfähigkeit gehabt.“ Jetzt sind die mächtigsten Sozialdemokraten der jüngsten Geschichte wieder Jungs, die unterschiedlich mit ihrem Taschengeld umgehen. Ihr gefällt es, alle aufzuzählen, mit denen sie amtierte. Mit ihnen, nicht unter ihnen. „Ich bin nur dem Parteitag verantwortlich.“

Inge Wettig-Danielmeiers Überlebensstrategie funktioniert so. Sie betreibt die Schatzmeisterei und die Frauenpolitik so gut, dass sie unangreifbar ist. In die restliche Politik mischt sie sich nur intern ein bisschen ein, bleibt aber nach außen brav. Das ist bis heute so. Als Schröder und Müntefering die Neuwahlen ausriefen, war sie im Präsidium dagegen. Öffentlich schwieg sie.

Im Gegenzug hat sie in der Frauenpolitik immer den Rückhalt der Partei genießen können. Zum Beispiel als sie 1992 und 1995 die Fristenregelung im Abtreibungsrecht aushandelte.

Die Männer an der Parteispitze ließen sie auch machen, als sie vor drei Jahren in die Zeitungskrise eingriff. Die SPD ist seit Jahrzehnten an Zeitungsverlagen beteiligt, verantwortlich ist die Schatzmeisterin. Als die Frankfurter Rundschau vor der Pleite stand, baten Redakteure sie um Hilfe. Sie kaufte die Zeitung. Als der angeschlagene Verlag der Süddeutschen Zeitung wegen des Kartellamtes dringend Beteiligungen loswerden musste, übernahm sie sie. „Sie war die Grande Dame, die das letzte Wort hat“, erinnert sich Klaus Josef Lutz, Chef des Süddeutschen Verlags.

Der Dienstwagen schießt über die Autobahn nach Potsdam. Die 1,62 Meter kleine Frau wirkt auf dem breiten Rücksitz, als säße sie auf einem Sofa. Sie plaudert über die Verlagsbranche. Noch so ein Männergeheimbund, in den sie eingedrungen ist. „Die Herren waren immer sehr nett zu mir.“ Sie lacht laut.

Sie vertritt sich vor der Orangerie die Füße, die Handtasche pendelt hin und her. Die ostdeutschen Sozialdemokraten prosten sich zu, um Thierse, Stolpe und Platzeck bilden sich Grüppchen. Dann ziehen die Gäste in die Orangerie, um Platzecks hundertste gerührte Dankesrede an Stolpe zu hören. Hinter der letzten Reihe steht die Schatzmeisterin.

Platzeck tritt noch mal ans Mikrofon. „Es gibt jemand, dem ganz selten danke gesagt wird“, ruft er. „Sie ist die Hüterin unserer Finanzen und als solche unerbittlich. Da begegnet man sich manchmal mit böser Miene. Aber wir haben bei ihr immer ein offenes Ohr gefunden.“ Sie wird nach vorn geholt. Inge Wettig-Danielmeier lächelt. Sie wurde gerade von der SPD umarmt.