berliner szenen
: Hast du mich gehört?

Ich brauche Bargeld, und dieser Automat auf dem U-Bahnhof scheint der einzige weit und breit zu sein. Eine Frau steht tänzelnd davor und steckt ihre Karte rein. In ihren Nacken, kurz unter die hochgesteckten braunen Haare, hat sie sich in elfenhafter Typografie das Wort „Princess“ tätowieren lassen.

Hinter ihr eine Menschenschlange, die sich aus drei Generationen zusammensetzt. Ganz vorne steht die Mutter, dahinter die Großmutter, dann kommen drei Kinder, der Großvater – und ganz hinten der Vater mit einem Mädchen.

Ich stelle mich an. Die Mutter dreht sich um und ruft: „Pass auf, dass die Ursel mitkommt.“ Der Mann vor mir nickt. Ursel, die neben ihm steht, ein Gesicht zwischen Kind und Akne, ist vielleicht 11, und unter anderen Umständen würde sie genervt aussehen und in der Bravolesen. „Wolfgang, hast du mich gehört?“ Wolfgang hat es ganz sicher gehört, weil der ganze U-Bahnhof es gehört hat.

Die Frau mit der Tätowie­rung hört auf zu tanzen, dreht sich zu der Mutter um, sieht sie irritiert an. Die Mutter sieht schnell weg. Wolfgang nickt wieder, dreht sich zu mir um, nickt nun auch mir zu und lächelt. Ich nicke zurück.

Die Tätowierte gibt ihre Geheimnummer ein, während sie schon wieder tänzelt, zieht dann ein paar Scheine und steckt sie sich in die Hintertasche ihrer Jeans. „Wolfgang, wir sind dran!“, ruft die Mutter. Wolfgang nickt. Was soll so ein Wolfgang auch machen außer nicken?

Zwei Typen stellen sich hinter mich. Sie haben Eistee-Packs und Frisuren, die aussehen, als hätte man ihnen einen Kreis des Kopfhaars abrasiert, den Kopf zu einer Glatze geschoren und anschließend den Kreis wieder draufgesetzt.

Sie trinken synchron aus den Packs, dann sagt der eine: „Du warst Samstag nich da, Alta!“ Sagt der andere: „Isch war eine Woche Plötzensee, Digga!“ Björn Kuhligk