LESERINNENBRIEFE
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Lesen und verstehen

■ betr.: „Sie wollen lesen“, taz vom 6. 10. 12

Ihr befasst euch mit dem „Lesenlernen“ und wie das geht. Darüber habe ich als „Lesepatin“ an einer Grundschule die letzten zwei Jahre nachgedacht und bemerkt, dass für manche Kinder „lesen“ und „verstehen“ nicht Hand in Hand gehen. Manche Kinder lesen fließend und verstehen doch kaum einen Satz. In den Lexika (wie Duden etc.) bedeutet „lesen“ selbstverständlich auch „verstehen“, doch in der Praxis gilt das nicht – das beweisen manche Handbücher für Lehrer, die „Lesen“ in Band 1 und „Verstehen“ in Band 2 darlegen.

Die Kinder einer Klasse besitzen nicht denselben Wortschatz. Bei manchen gibt es zu Hause überhaupt keine Bücher. Lesen kann man in erster Linie an Texten lernen, die man sofort versteht. Die Wörter müssen bekannt sein. „Lesen“ heißt zunächst und für eine Weile: wiedererkennen. Glücklich macht das Lesen am Anfang, wenn das Kind in der Schrift wiederfindet, was es mündlich schon weiß. Auf der Woge dieses Glückes schwimmt es ins Leseland und begegnet dann auch Neuem! Dieses Glück kann ich als Lesehelferin nur auslösen, wenn ich Texte auswähle, die das Kriterium des Wiedererkennens von Bekanntem erfüllen, was zum Beispiel auch bedeutet, das ich verschiedene Bücher für verschiedene Kinder besorgen muss.

Der Aspekt: Wortschatz und Verständnishorizont beim Lesenlernen wird auf euren Seiten 20 und 21 zu meinem Bedauern nicht behandelt. Ihr redet offenbar von Kindern aus gebildeten Schichten. Schade. Grade die aus ungebildeten Häusern brauchen doch Zuwendung und Unterstützung beim Lesenlernen. Habt ihr die vergessen? BARBARA HÖHFELD, Frankfurt am Main

CDU hat sich verrechnet

■ betr.: „Er kann alles. Außer Wahlsieg“, taz vom 9. 10. 12

Die CDU hat sich verrechnet, sie dachte, dass schon Parteilosigkeit das Programm ersetzen könne. Aber im Gegensatz zu den Neoliberalen hat die Mehrheit der Wähler verstanden, dass weder Länder noch Städte Unternehmen sind und man daher auch nicht damit punkten kann, wenn man sich, wie Turner, als „parteiloser Unternehmer mit Ideen“ anzudienen versucht. MANUELA KUNKEL, Stuttgart

Ungerecht oder nicht praktikabel

■ betr.: „Energiewende – so geht’s mit links“, taz vom 11. 10. 12

Der Vorschlag, die ersten 1.000 kWh/Jahr von der Stromsteuer zu befreien, ist entweder sozial ungerecht oder nicht praktikabel. Sozial ungerecht ist er, wenn er pro Haushalt gemeint ist: dann sind kinderreiche Familien und Wohngemeinschaften benachteiligt, also Gruppen, die meist nicht gerade zu den Vermögenden gehören. Nicht praktikabel ist er, wenn er pro VerbraucherIn gemeint ist: dann müssten die Energieunternehmen, was bisher für die Stromabrechnung nicht erforderlich ist, Informationen zur Zahl der BewohnerInnen einer Wohnung erheben und pflegen, ein erheblicher zusätzlicher Verwaltungsaufwand, dazu datenschutzrechtlich nicht ganz unbedenklich, weil die Daten vermutlich personenbezogen erhoben werden müssten, um die missbräuchliche Meldung zusätzlicher BewohnerInnen zu verhindern. UTE FINCKH, Berlin

Warum keine Auflösung?

■ betr.: „Misstrauen gegen den eigenen Geheimdienst“, „Löst die endlich auf“, taz vom 12. 10. 12

Wer sich ein wenig mit der Entstehung der Geheimdienste in der BRD beschäftigt, kann nur eines feststellen: der Rechtsextremismus ist systemimmanent! Wurde er doch von ehemaligen Vasallen Hitlers (hohe SS- und SD-Offiziere und selbst Täter) mit Hilfe der späteren CIA aufgebaut und geführt (Amt Gehlen). Und dass es bis ins Jahr 1995 dauern musste, bis es zu einem Geheimdienstgesetz gekommen ist, der Geheimdienst bis dahin nur aufgrund eines Kabinettsbeschlusses unter Adenauer tätig war, bestätigt nur das Problem.

Dass es ausgerechnet ein neues Bundesland ist, das seinem eigenen Geheimdienst nicht mehr traut, wenn es um Rechtsextremismus geht, erscheint mir auch bezeichnend. Warum keine Auflösung? Weil die konservativen Politiker diesen Geheimdienst gut gegen links gerichtete Politik einsetzen können, wie man an den Observierungen von Bundestagsabgeordneten der Linkspartei sieht, also für die eigene Politik nützlich ist. Wie wichtig es ist, die eigenen V-Leute zu schützen und dadurch die Aufklärung der NSU-Morde und letztlich der gesamten rechten Szene zu behindern, lässt die Frage zu: Geht es hier wirklich um den Schutz der Demokratie, der Verfassung?

ALBERT WAGNER, Bochum

Es hat Geschmäckle

■ betr.: „Die geheuchelte Sorge um die Armen“, taz vom 11. 10. 12

Ein Blick in die EEG-Novelle für 2013 offenbart: Industrieausnahmen werden still und heimlich massiv ausgeweitet. Bislang bekamen Großverbraucher ab zehn Gigawattstunden im Jahr Vergünstigungen. Ab 2013 können Industrien bereits ab lediglich einer Gigawattstunde Vergünstigungen auf dann nur zehn Prozent der eigentlich fälligen EEG-Umlage beantragen. Hierdurch wird sich die Zahl der Ausnahmeberechtigten mehr als verdoppeln. Mit dem „Schutz von energieintensiver Produktion vor internationalem Wettbewerb“, mit dem die Ausnahmen ursprünglich begründet wurden, hat das nichts mehr zu tun. Aber es hat Geschmäckle: nämlich erneut den erfolgreicher Lobbyarbeit und schwarzgelber Klientelpolitik. Den Mehrpreis zahlt der Verbraucher. MIRKO HAJEK, Neuss