meinungsstark
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Die eigentlichen bösen Buben

„Sie haben uns den Frühling gestohlen“ von Johanna ­Luyssen, taz vom 9./10. 5. 18

Frau Johanna Luyssen, Deutschland-Korrespondentin der Libération, nähert sich dem Thema ihres Artikels langsam. Als „Diebe des Frühlings“ bezeichnet sie zunächst französische Reaktionäre wie die rechtskatholischen Blogger und islamophoben Laizisten und beschreibt, wie diese gegen die Ehe für alle mobilisierten und sich dabei die Symbolik des Mai 68 aneigneten: Demonstrationen und bestimmte, geradezu poetisch anmutende Parolen. Dabei verwendet die Autorin unter anderem die Formulierung: „Erst wurden die Dinge sagbar, dann folgten die Taten“, und bezieht sich damit auf homophobe Übergriffe in Frankreich.

In der zweiten Hälfte des Artikels treten die eigentlichen bösen Buben auf, „die André Glucksmanns, die Alain Finkielkrauts, die Bernard-Henri Lévys, die Olivier Rolins, die Pascal Bruckners. Ihre Herkunft ist vielfältig […].“ Schelmin, die Böses dabei denkt, dass drei der fünf Genannten, die hier bezichtigt werden, die „Mao-Bibel“ zur Seite gelegt haben, um dem Rotary-Club beitreten zu dürfen, jüdischer Herkunft sind. Aber gehen wir weiter im Text: „[…] diese Revolutionäre des Mai 68, die noch heute den medialen literarischen und intellektuellen Raum dominieren. Finkielkraut, Levy, Cohn-Bendit.“

Hatten wir das nicht schon einmal, diese Zuschreibung von Herrschaft in bestimmten „Räumen“ in Zusammenhang mit ausschließlich jüdischen Namen? Und was soll zwischen den beiden hier zitierten Textstellen eine Etikettierung wie „Als die Heuchler, die sie sind“ (uraltes Stereotyp über Juden) für politische Lebenswege vom Jahr 1968 bis heute?

Nein, Frau Luyssen, Sie schreiben selbstverständlich nicht vom internationalen Judentum, das die Finanzmärkte dominiert. Aber warum reihen Sie die Namen von drei Menschen aneinander, deren einzige Gemeinsamkeit ihre jüdische Herkunft ist, deren individuelle Biografie, politische Einstellung und Praxis Sie aber ignorieren? Sicher, diese Art von Meinungsäußerungen und Meinungsmache gibt es: Nicht nur in Verschwörungsvideos, in sozialen Netzwerken oder rechtsradikalen Pamphleten, sondern auch in der neuen Verkleidung des „Man wird doch noch sagen dürfen …“.

Aber bitte nicht in der taz. Und bitte nicht in dieser Scheinheiligkeit, mit der nach unserer historischen Erfahrung ernstzunehmende Formulierungen benutzt werden wie: „Erst wurden die Dinge sagbar, dann folgten die Taten.“

Ingrid Apel, Jahrgang 1950, Germanistin und Sozialwissenschaftlerin. Sie ist verheiratet mit Daniel Cohn-Bendit.