Heller wird’s nimmer

Der Eventschöpfer aus Wien präsentiert das opulente Kulturprogramm der Fußballweltmeisterschaft 2006 sowie die Hauptperson des Ganzen: sich selbst. Franz Beckenbauer sorgt sich derweil um den Verlust des Eigentlichen

AUS BERLIN MARKUS VÖLKER

„Wannst Vertraun hast in die sölba dann brauchst ka Versicherung und du bleibst für immer jung“

(André Heller)

Das existenzialistische Schwarz hatte André Heller am Tag der Präsentation abgelegt. Der Eventisierer aus Österreich erschien im blendend weißen Leinenanzug. Das rückte ihn einmal mehr in den Mittelpunkt, ein Ort, an dem sich Heller so wohl fühlt wie der Wiener sonst nur im Heurigengarten bei einem Glaserl Zierfandler. Es war also so weit. Das Kulturprogramm passte nach Monaten der Vorbereitung endlich zwischen zwei Buchdeckel. Aus ursprünglich 30 Projekten waren 48 geworden. Dreißig Millionen Euro stehen für die Aufhübschung der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 bereit. Im Schweinsgalopp las sich Heller durch den Katalog, eine langatmige Veranstaltung, die durch Hellers Einwürfe, dieses oder jenes Projekt imponiere durch seinen intellektuellen Zuschnitt, kaum kurzweiliger wurde.

Der Mystagoge aus Wien mit dem künstlerischen Überschmäh präsentierte Schmankerl um Schmankerl und auch die Beweggründe der Kulturschaffenden: „Das ist keine Anbiederung“, ließ Heller wissen, „es ist doch hochinteressant, wenn Leute, die etwas in einem avantgardistischen Raum tun, nun etwas für eine größere Öffentlichkeit machen.“ Für den einfachen Fußballfan zum Beispiel, der an die Stätten der Kunstproduktion pilgern möge, wie Innenminister Otto Schily hofft. Warum soll der gemeine Schalke-Anhänger nicht zum Oratorium „Die Tiefe des Raumes“ gehen, wenn „der Fußball etwas ist, was das ästhetische Wahrnehmungsvermögen des Menschen in seinen Bann zieht“, oder anders gesagt: ihn antörnt. Aufgeführt wird weltweit, von A wie Amsterdam bis Z wie Zürich. Auch Kalavrita (Griechenland), Cáracas, Schanghai oder Salvador da Bahia (Brasilien) kommen in den Genuss sublimierter Fußballwelten aus Germany.

André Heller hatte einige Mühe, den Eindruck zu verwischen, es handele sich um „eine Selbstverwirklichungsorgie“. Er wolle nur anregen und verführen. Unterhalten womöglich auch. Franz Beckenbauer ist in dieser Hinsicht wenigstens mit Talent gesegnet. Der Chef des WM-Organisationskomitees wusste das Publikum mit einem Anekdötchen aus seiner Vergangenheit zu amüsieren: Ein Bild wurde enthüllt, darauf zu sehen – ein Konterfei mit üppiger Frisur. „Das bin übrigens ich“, erklärte Beckenbauer. Andy Warhol habe ihn seinerzeit, 1977 bei der Ankunft des frisch gebackenen Cosmos-Profis in New York, porträtiert, Hubert Burda das Bild gekauft. „Damals hat der sich das noch leisten können“, sagte Beckenbauer.

Kaisers Konkurrent

Nun hat es Heller nicht gern, dass man ihm die Schau stiehlt. Also revanchierte er sich später mit einem Geplänkel auf dem Podium. Da eine Wanderausstellung auch in Japan Station macht, legte Heller im sonoren Singsang dar, werde sich der Tenno, der Kaiser höchstpersönlich, die Ehre geben und die Ausstellung eröffnen. Heller tätschelte Beckenbauer nun den Oberschenkel und sagte: „Ja, Franz, es gibt noch zwei, drei andere Kaiser auf der Welt.“

Die Inszenierung der kulturellen WM läuft längst. Der Hellersche Fußballglobus tourt seit Monaten durch die Lande und wurde angeblich schon von einer halben Million Menschen besucht. Heller, so etwas wie der inoffizielle Kulturstaatsminister, konnte nun weitere Einblicke ins Programm geben. Dazu hatte „der geniale Kurator“ (Schily über Heller) den Komponisten der Fußballoper „Die Tiefe des Raumes“, Moritz Eggert, nach Berlin geladen. „Sie kommen aus der Tiefe, sie kommen aus dem Schacht, Wismut Aue – Fußballmacht“, diese Zeilen brachte der Bariton Thomas E. Bauer im Bundespresseamt am Reichstagufer dar. Das Oratorium ist zwei Mal 45 Minuten lang, hat eine Halbzeitpause und bedient sich auch der Trapattoni-Philippika. Am Tag des Endspiels kommt’s zur Aufführung des Stückes in der Komischen Oper Berlin. „Wir wollen“, sagte Eggert, „dass es unsere Nationalspieler hören und sich dann verpflichtet fühlen zu gewinnen.“ Am 9. Juli sind sie aber aller Voraussicht nach nicht mehr im Turnier, sondern längst im Urlaub – wenn nicht ein Wunder geschieht.

Geniale Gustostückerl

Ein anderes Gustostückerl soll die Exhibition „Rundlederwelten“ werden, eine Schau rund um den Ball, die von Harald Szeemann kuratiert werden sollte, nach dessen Tod aber nun von Dorothea Strauss begleitet wird. Rundlederwelten wird ab Mitte Oktober im Berliner Martin-Gropius-Bau zu besichtigen sein. Da wird der Ball der Assoziationen rollen, der Doppelpass geübt zum „Büro für Desinformation“ und so weiter und so fort. Strauss beabsichtigt, „Erlebnisräume zu schaffen, in denen man sich versenken kann“. Schily verspricht: „Man kann die wunderbarsten Entdeckungen machen.“

Damit nicht genug, wird eine Fußballfotoausstellung der Agentur Magnum auf Weltreise gehen, der „Unparteiische im Mittelpunkt einer Museumspräsentation“ stehen oder eine filmische Reise durch Afrikas Fußballmystik unternommen.

Das Kulturprogramm steht wie die gesamte WM unter der Maxime „Die Welt zu Gast bei Freunden“. Eine Imagekampagne soll die Deutschen überdies kulturkompatibel machen und sie das mimisch-mustergültige Verhalten der Logo-Smileys lehren. Franz Beckenbauer macht sich angesichts der vielfältigen Bemühungen Sorgen, das Rahmenprogramm könne das eigentliche Ereignis überlagern. „Ja, brauchen wir denn die Spiele überhaupt noch?“ fragte er in die Runde. Ja, schau mer halt mal.