Hasch, Pop, Pille – und die Folgen

Schriften zu Zeitschriften: Linke Vergangenheitsbewältigung und Aufbrüche signalisierende Küchenzeilen – unterschiedliche Spuren der 68er-Generation im neuen Ikea-Katalog und im runderneuerten „Kursbuch“. Lebst du noch oder liest du schon?

Machen wir es wie Lafontaine: Werfen wir doch einfach die Klamotten vom letzten Jahr auf die Straße und kaufen neue

VON JAN-HENDRIK WULF

Ein richtig gutes Gefühl unter dem Motto „Träumen erlaubt“ vermittelt einem dieser Tage nur der neue Ikea-Katalog. Alles ist nochmals billiger geworden und – wie der staunende Konsument vom Katalogtext vertraulich umschmeichelt wird – „das liegt vor allem an dir!“ Doch damit sind Ikeas Attraktionen noch längst nicht erschöpft: „Wir haben ein erstklassiges Sofa so flach verpackt, dass du es am selben Tag kaufen, heimbringen, aufbauen und ‚besitzen‘ kannst!“

Mit solchem Mitmachgefühl kann die Politik im Vorfeld der Bundestagswahl wohl nur schwerlich konkurrieren. Und das bei einer Wahl, in der nun angeblich die sozialen Utopien der 68er zur Disposition stehen sollen. Unter dieser Perspektive linker Vergangenheitsbewältigung nähert sich jedenfalls die neue Ausgabe der Zeitschrift Kursbuch ihrem aktuellen Themenschwerpunkt „Wahl und Wählen. Schuld und Schulden“.

Trotzdem denkt man sofort wieder an Ikea, wenn der Kursbuch-Herausgeber Tilman Spengler im Editorial die Ideale von 68 nur vage als „Ersetzung einer alten engen Welt durch eine neue ausgelassene Welt“ rekapituliert: „Botschaften aus der ‚Welt der Kinder und der Naturmenschen‘ mischen sich mit moralischen Anliegen, die durch eine neue Kombination von Stoffen und Kräften in die politische Wirklichkeit umgesetzt werden sollen.“

Doch vielleicht geht es bei der 68er-Rückschau des Kursbuchs bloß um eine Traditionsvergewisserung in eigener Sache. Vor 40 Jahren von Hans Magnus Enzensberger begründet, mauserte sich das Heft in den Siebzigerjahren zur angesehenen intellektuellen Hauspostille der politischen Linken. Das ist lange vorbei. Sinkende Abonnentenzahlen bewogen den Rowohlt Verlag im Sommer 2004, sich von dem traditionsreichen Titel zu trennen.

Das Kursbuch sei wohl das „Unternehmen einer Generation gewesen“, meinte der für die Entscheidung verantwortliche Alexander Fest. Nun hat das Magazin unter fortlaufender Nummerierung beim Zeit-Verlag eine neue Heimat gefunden und feiert als vierteljährliche Hochglanzverlängerung der liberalen Hamburger Wochenzeitung ein optisch aufgeputztes Comeback.

Von daher versteht man die Ansicht des neuen Mitherausgebers Michael Naumann, dass der Generation der Kriegs- und Nachkriegskinder mit der pauschalen Etikettierung als 68er politisches Unrecht widerfahre. Als ideologisch geschlossene Alterskohorte seien die 68er ein Mythos, der erst im Nachhinein von der Feder einer konservativen Kulturkritik ersonnen worden sei. Diese, so Naumann weiter, wolle alle möglichen gesellschaftlichen Missstände, „Bildungsmisere und Hedonismus der Freizeitgesellschaft, Antiamerikanismus und Reformstau“ auf das vermeintliche Versagen einer normativ verirrten Generation zurückführen. Die gesellschaftlichen Umbrüche im Zeichen von Hasch, Pop und Pille hätte es aber ohnehin gegeben. Das reale 68 sei „allenfalls eine aufregende experimentelle politische und sexuelle Lebensphase für einige tausend Studenten“ gewesen.

Dagegen erkennt der Journalist Jürgen Busche in der Idee der 68er-Generation einen fortgesetzten Aktualitätswert – zumindest für die Bewertung des politischen Werdegangs einiger prominenter SPD-Führer: Schröder wie Lafontaine verbinde eine Liebe zum Ausbruch aus den Verhältnissen, ein lümmelhafter „Hang zur Formlosigkeit“, der sich immer dann zeige, wenn einer sich innerparteilich an die Macht putsche oder die Brocken wieder hinwerfe.

Doch Zufall oder nicht, schon beim Aufschlagen des neuen Kursbuchs lacht einem als erstes in einer Buchanzeige das frische Konterfei Angela Merkels entgegen. Eben jener konservativen Herausforderin, der es beim TV-Kanzlerduell mit einem (68er-?) Habitus von selbstironischer Liberalität und aufgeräumter Unbestimmtheit geglückt ist, dem Amtsinhaber mit seinen eigenen rhetorischen Waffen zu kontern.

Den berüchtigten studentisch versnobten Kulturpessimismus meint man im Kursbuch nur noch im Beitrag der SZ-Redakteurin Franziska Augstein zu verspüren: Sie hadert mit dem Umstand, dass sich ausgerechnet die unterprivilegierten Habenichtse im Lande als treue CDU-Wähler erwiesen, obwohl ihnen solche Politik doch gar nichts nütze: „Im 19. Jahrhundert hatten diese Leute kein Wahlrecht. Im 21. Jahrhundert werden es die herrschenden Klassen nicht nötig haben, ihnen das Wahlrecht abzuerkennen.“ Man will Augstein gar nicht widersprechen. Aber wenn ihre Analyse nicht als Aufruf zum revolutionären Umsturz gemeint wäre, steckte dahinter wirklich nicht mehr als ein in elitärer Demokratieverdrossenheit gekräuseltes Näschen.

Viel lebendiger strahlt die Parodie von 68 aus dem Geist der neuen Ikea-Küchenzeilen. Denn hier gilt: „Erlaubt ist, was dir gefällt!“ Machen wir es wie Schröder und Lafontaine: Werfen wir doch einfach die ganzen Klamotten vom letzten Jahr auf die Straße und kaufen neue. Getreu dem Motto des Möbelkatalogs: „Probier mal verschiedene Farben aus, du wirst dich wundern!“

„Ikea 2006“, Freiexemplar, Wert: 2,50 €; „Kursbuch“ 161, 10 €