Nils Schuhmacher
Hamburger Soundtrack
: Adieu Entstofflichung

Früher erfuhr man von ansprechenden und weniger ansprechenden Künstler*innen nur aus der Zeitung, aus dem Radio und über sogenannte Mixtapes. Diese Art der von Vertrauen, Geschmack und persönlichen Beziehungen gesteuerten Popsortierung ist vorbei. „Danke“, Internet! Das gedruckte Wort ist bekanntlich nichts mehr wert („Lügenpresse“). Das Vertrauen in die Einschätzungsfähigkeit der Radioleute ist längst pulverisiert (obwohl zu Duos aufgemotzt). Das Mixtape ist nicht mehr soziale Praxis, sondern einfach nur noch „Kult“.

Im Ergebnis stürzt jetzt die ganze Musik unsortiert auf einen ein. Musikstreaming-Dienste generieren auf der Basis von Algorithmen Playlists. Man bekommt viel zu hören, wie sehr man aber dieses und jenes gut bzw. schlecht findet und warum, das weiß man nicht mehr genau.

Umso berechtigter also die Anführungszeichen, diese linguistischen Kathedralen der postmodernen ironischen Grundhaltung. Nun ist es aber doch so, dass das Internet nicht nur zähe Musikmassen produziert, sondern auch graue Musizierende zu glitzernden Stars verarbeitet. Etwa die fünf Schimpansen aus dem Gelsenkirchener Zoo, die durch ihren Text zu Jan Böhmermanns (19. 5., Mehr!-Theater) Song „Menschen Leben Tanzen Welt“ zu einiger Berühmtheit gelangt sind.

Und es ist auch der Ort, an dem sich Gefolgschaften sammeln, die mit einer Petition eine Tour erzwingen, wie bei 2004 bei Ben Folds geschehen. Dass diese Termine dann aufgrund einer Erkrankung ausfielen, ist eben einer der Fallstricke der Digitalisierung. Und dass der Pop-Pianist jetzt (16. 5., Elbphilharmonie) da ist, hat er einfach selbst entschieden.

Und wer sind noch mal die Analogues (15. 5. Mehr!-Theater)? Wie der Name andeutet, eine Band, die sich darauf verlegt hat, Lieder einer anderen Band zu spielen, die diese nie zur Aufführung brachte. Die Beatles waren an der Komplexität von „Sgt. Pepper“ gescheitert, die Lösung liegt hier – ganz undigital – in der Vergrößerung der personellen Basis. „Adieu Entstofflichung!“, kann man da nur sagen.