Abgesoffenes Mitgefühl

Die Flut von New Orleans bedeutet nicht nur das Ende einer Stadt, sondern auch das Ende des ideologischen Projekts: der „mitfühlende Konservatismus“ des George W. Bush ist eine Farce

VON JAN FEDDERSEN
UND THILO KNOTT

Im Ausnahmezustand werde sichtbar, was wirklich Sache ist, erkannte, grob gesprochen, der Staatstheoretiker Carl Schmitt. Nach der Flut in New Orleans lässt sich eines nicht mehr verheelen: der mitfühlende Konservatismus hat versagt, als es, im Ausnahmezustand, darauf ankam. Vor sechs Jahren gewann US-Präsident George W. Bush die Wahl auch mit jener Zauberformel des so genannten mitfühlenden Konservatismus. Ein ideologisches Projekt, das den Staatsbürgern die Selbstverantwortung aufbürdete, frei von staatlichen Alimentationen. Das „Mitfühlende“ aber signalisierte zugleich, in Notfällen auf den Staat bauen zu können.

Bush und die Seinen werden die Folgen des Hurrikans an den Küsten der US-Bundesstaaten Mississippi, Louisiana und Alabama vielleicht nicht recht kalkuliert, die symbolische Macht der Fernsehbilder vom abgesoffenen New Orleans, der leidenden Menschen verkannt haben. Ein George W. Bush, der hölzern sprach und im Krisengebiet desorientiert wirkte; dem es nichts auszumachen schien, dass erst fünf Tage nach den Dammbrüchen Hilfe ins Krisengebiet einrückte; der keine Worte dafür fand, dass in Zeitungen weiße Amerikaner im Big Easy abgebildet wurden als Hungrige, die Lebensmittel in Supermärkten organisieren – und afroamerikanische Landsleute, die Gleiches taten, als Plünderer diffamiert wurden.

Doch ein Satz wurde besonders vermisst, er vor allem markiert die Blindstelle im konservativen Programm, um die es sich beim compassionate conservatism in Wahrheit handelt: „Wir bauen alles wieder auf. New Orleans ist in unseren Herzen.“

Außenministerin Condoleezza Rice konnte noch so sehr darauf hinweisen, sie erkenne im fehlenden Tempo der Solidaraktionen keinen Rassismus. Jeder Fernsehzuschauer – auch in Europa – konnte sehen, was in New Orleans und Umgebung passierte: Die Reichen, die Wohlhabenden konnten fliehen, die Armen, überwiegend Afroamerikaner, mussten ausharren. Louisiana, Mississippi und Alabama, die zu den ärmsten der armen US-Bundesstaaten zählen, was auch ein verschlepptes Resultat von Sklaverei und Apartheid ist, sind die Zeugnisse einer Politik, die von Heimatschutz (nach 9/11) spricht und doch Gelder storniert, die für den wichtigen Deichschutz vorgesehen waren. Die Flut im Süden der USA ist der Beginn des Endes dieser Sorte Konservativismus: Sie können es einfach nicht, die, wie es in zahllosen Statements aus New Orleans heißt, „reichen Säcke, die nur an sich denken und immer nur Bibeln parat haben“. George W. Bush wird sich nicht mehr reinwaschen können, etwa mit dem Hinweis, er sei machtlos Naturgewalten gegenüber. Er wird wieder der Schnösel der Ostküste, fern den Sorgen und Nöten der Menschen: Kein Nachbar, the guy next door, leutselig und nahbar, sondern ein Machthaber, dem ein wenig das Gefühl für seinen Job abhanden gekommen ist. Er kann es ja selbst im Irak nicht. Der Krieg gegen Saddam, den selbst Linke gut hießen, aber nicht dessen Folgen, wird ihm auf die Füße fallen.

So wie es in New Orleans stinkt und modert, fault und siecht: Gegen die Macht der Natur kann niemand etwas machen – aber wenigstens kann der Staat organisieren, was seine Sache ist. Wenn in solchen Situationen Armut und Hautfarben doch eine Rolle spielen, hat ein zu garantierendes Mindestmaß an Zivilisiertheit Priorität.

George W. Bush ist sichtbar geworden als ein x-beliebiger Milizenchef – nur der eigenen Bande verpflichtet.