DIE DEBATTE UM DIE ZUKUNFT DER STASI-BEHÖRDE MUSS WEITERGEHEN
: Das große Ganze der Diktatur

Nicht ohne Grund mühte sich die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen gestern, die Existenzberechtigung ihrer Behörde mit Zahlen zu untermauern. Noch immer wollen jährlich rund 90.000 Betroffene die Akten einsehen, wollen Behörden oder Arbeitgeber die mögliche Stasi-Vergangenheit von 111.000 Mitarbeitern überprüfen. Wer wollte da noch fordern, die Behörde zu einer Abteilung des Bundesarchivs zu degradieren, wie es ein Papier der Bundesregierung vorigen Winter vorsah? Oder sie auch nur in ein Gesamtkonzept zur DDR-Aufarbeitung einzubetten, wie es eine Expertenkommission derzeit vorbereiten soll?

So beeindruckend die Zahlen der Birthler-Behörde auch sind, so sehr stehen sie zugleich auch für ein Problem. Für das Problem, dass sich die Auseinandersetzung mit der DDR-Geschichte in der breiteren Öffentlichkeit fast ausschließlich auf die Aktivitäten des Ministeriums für Staatssicherheit konzentriert. Mit ihren rund 2.000 Mitarbeitern beschäftigt die Behörde schätzungsweise mehr Personal als alle anderen Institutionen der DDR-Aufarbeitung zusammengenommen. Doch lässt sich die Funktionsweise einer Diktatur nicht allein mit den Mechanismen ihres Geheimdienstes erklären, so perfide dieses Herrschaftsinstrument auch funktioniert haben mag. Da verbindet sich das Engagement ehemaliger Bürgerrechtler mit der Ignoranz vieler Westdeutscher, die vom Osten kaum mehr kennen als eben die „Stasi“.

Deshalb ist die Idee durchaus vernünftig, die Stasi-Unterlagen langfristig ins Bundesarchiv zu integrieren und die Forschungsabteilung der Behörde besser mit den Aktivitäten anderer Einrichtungen der DDR-Aufarbeitung zu verzahnen. Es ist bedauerlich, dass die Bundesregierung dieses Vorhaben durch die klandestine Art der Vorbereitung gründlich diskreditiert hat. Der CDU-Politiker Lammert, in Angela Merkels Kompetenzteam für die Kultur und damit auch für die Birthler-Behörde zuständig, hat seine Distanz zu den rot-grünen Zusammenlegungsplänen bereits durchblicken lassen. Schade: Der Blick aufs große Ganze wird so weiterhin behindert. RALPH BOLLMANN