Augenwischerei oder Neustart?

Morgen wählen die Ägypter einen neuen Präsidenten. Erstmals treten mehrere Kandidaten an. Dennoch gilt der amtierende Staatschef Mubarak als sicherer Sieger. Der gibt sich plötzlich volksnah

AUS KAIRO KARIM EL-GAWHARY

Es mutet schon merkwürdig an, wenn der ägyptische Präsident Hosni Mubarak nach 24 Jahren undemokratischer Amtszeit plötzlich vor die Öffentlichkeit tritt und die Wähler bescheiden um ihre Stimme bittet. Erstmals in der Geschichte des bevölkerungsreichsten arabischen Landes werden morgen 32 Millionen Wähler die Chance haben, unter neun Kandidaten ihren Rais – Präsidenten – auszusuchen. Kaum jemand am Nil zweifelt daran, dass der einstige Offizier der Luftwaffe, der 77-jährige Mubarak, erneut das Rennen macht.

Doch es ist der Wahlkampf Mubaraks, den die Ägypter derzeit mit Erstaunen verfolgen. Vorbei sind die Zeiten, in denen der Pharao im Präsidentenpalast saß, sich von den Staatsmedien bejubeln und in Referenden sowjetischen Stils mit 90 Prozent der Stimmen bestätigen ließ. Nun steht Mubarak auf öffentlichen Veranstaltungen und spricht nicht gestelztes Hocharabisch, sondern Dialekt. Nach der Rede nimmt er ein Bad in der Menge.

Die Strategen der regierenden National-Demokratischen Partei (NDP) haben offensichtlich auch dem US-Wahlkampf viel abgeschaut. Als Mubarak am Sonntagabend seinen Wahlkampf mit einer Rede in Kairo abschloss, standen hinter ihm nicht finster dreinblickende Bodyguards, sondern sorgsam ausgesuchte Männer und Frauen, alt und jung, mit und ohne Kopftuch.

Manches ist beim Alten geblieben. Ins moderne Wahlkampfbild will gar nicht passen, dass die ausgesuchte Menge ruft, ihre Seele und ihr Blut für Mubarak geben zu wollen. Kurz bevor der Präsident auf der Bühne erscheint, versuchen mehrere Männer aus dem Publikum nach vorne zu gelangen, um Mubarak Bittschreiben zu überreichen.

In seiner Rede geht der sonst so ferne Herrscher auf die nahen Probleme ein: „Ich fühle euren Schmerz.“ Er spricht über Jugendarbeitslosigkeit, Wohnungsprobleme und mangelnde soziale Dienstleistungen und verspricht, es besser zu machen.

Genau dort setzen seine Gegner an, die süffisant fragen, was Mubarak in seinen 24 Jahren oberster Verantwortlichkeit gegen den Schmerz unternommen hat. Erwähnenswert sind nur zwei seiner Gegenkandidaten. Der als opportunistisch geltende Numan Gumaa von der Wafd-Partei, der, so besagen Gerüchte, nur auf hartnäckiges Bitten der Regierung sich nicht dem Boykott der anderen großen Oppositionsparteien angeschlossen hat. Damit solle verhindert werden, dass der andere seriöse Gegenbewerber, Ayman Nour, sich zu sehr als einziger Gegenpol zu Mubarak profilieren könnte.

Der 41-jährige Anwalt wirbt damit, die Verfassung innerhalb von zwei Jahren demokratischer zu gestalten und den sein fast einem Vierteljahrhundert geltenden Ausnahmezustand aufzuheben. „Mubarak hat das Land seines Potenzials beraubt“, argumentiert er und fordert, den „Mantel des Todes abzuwerfen“. Ein anderes seiner Lieblingsthemen ist die Korruption. Nour hat einen Hang zum Theatralischen, lässt sich gelegentlich mit einer Kutsche durch oberägyptische Kleinstädte fahren oder kommt sogar persönlich hoch zu Ross.

Ägyptens größte Oppositionsbewegung, die islamistischen Muslimbrüder, bleiben dem präsidialen Rennen fern. Sie haben aber nicht wie andere linke oder nasseristische Parteien zum Boykott aufgerufen, sondern ihre Anhänger aufgefordert, wählen zu gehen, ohne aber eine Empfehlung auszusprechen. Eine Geste, mit der sie wohl hoffen, einige ihrer Anhänger aus den Gefängnissen freizubekommen.

Die große Frage ist, wie viele Ägypter zur Urne gehen und ob die üblichen „Unregelmäßigkeiten“ tatsächlich der Vergangenheit angehören. Dafür soll die Richterschaft sorgen, die erst vor wenigen Tagen dieser Aufgabe zugestimmt hat. Unabhängige Wahlbeobachter sind in den Wahllokalen nicht zugelassen.

Doch die Beteiligung wird zeigen, ob die oft als „demokratische Generalprobe“ titulierte Wahl dem Regime Legitimität verleihen wird. Die Ägypter sind gespalten. Viele sehen das Ganze immer noch als Augenwischerei. Der Soziologe Saad Eddin Ibrahim glaubt, dass die öffentliche Skepsis gegenüber dem Regime anhalten wird. „Die Öffentlichkeit ist jahrzehntelang wie eine Herde Schafe behandelt worden. Die meisten sind überzeugt, dass sich das nicht ändern wird.

„Die Wahl ist nicht perfekt, aber wir sollten nehmen, was wir kriegen können“, argumentiert der Mubarak-kritische TV-Moderator Gamal Enaiet. Für ihn beginnt nächsten Mittwoch ein unumkehrbarer Prozess, an dessen Ende Ägypten demokratisch sein wird. „Wir sind es gewohnt, politisch Müll zu fressen“, sagt ein Kairoer Buchhalter. „Selbst wenn man uns auf einmal Kaviar serviert, bemängeln wir zuerst den komischen Geschmack.“