Weniger Waffen, weniger Tote

Sieben Wochen vor einer Volksabstimmung über ein Verbot des Waffenhandels vermeldet Brasilien einen starken Rückgang bei Todesfällen durch Schusswaffen

PORTO ALEGRE taz ■ Brasiliens Justizminister Márcio Thomaz Bastos hat allen Grund zur Zufriedenheit: Nach einer Entwaffnungskampagne der Regierung sind in Brasilien im vergangenen Jahr 8,2 Prozent weniger Menschen erschossen worden als 2003. Damit sei die Anzahl der Todesopfer durch Schusswaffen erstmals seit 1992 auf insgesamt 36.091 zurückgegangen, gab das Gesundheitsministerium in Brasília bekannt.

Bastos, einer der Hauptverantwortlichen für neue Akzente in der Sicherheitspolitik, führte den Rückgang auf die Entwaffnungskampagne zurück. „Wir feiern eine Politik, die funktioniert – und die Rettung tausender Menschenleben“, sagte Bastos. Im ganzen Land ging die Zahl der Opfer um 3.234 zurück, allein im Bundesstaat São Paulo um 1.960, in Rio de Janeiro um 672. Die nördlichen Bundesstaaten Amazones und Pará liegen mit Zuwachsraten von 29 bzw. 11 Prozent am weitesten weg vom Bundestrend.

Seit Juli 2004 sammeln die Behörden gegen eine Stückprämie von umgerechnet 33 bis 100 Euro Schusswaffen ein. Mit überraschender Resonanz: Das ursprüngliche Ziel von 80.000 wurde bereits innerhalb von zwei Monaten erreicht. Nach mehrmaliger Verlängerung ist man bislang bei 443.000 angekommen. Dabei liege der Schwerpunkt der Kampagne nicht auf der Verbrechensbekämpfung, betonte Bastos, selbst wenn es Kriminelle jetzt schwerer hätten, zumindest an legale Waffen zu kommen. Vielmehr gehe es um die Entwaffnung der Bevölkerung, damit immer weniger Streitfälle zwischen Freunden, Ehepartnern, Jugendlichen oder Fußballfans tödlich enden.

Mit der offiziellen Zahl von 36.000 Toten behauptet sich Brasilien weltweit immer noch auf Platz zwei – nur in Venezuela liegt die Mordrate noch höher. Unter den 15- bis 29-jährigen Männern sind Schusswechsel noch immer die häufigste Todesursache.

Die Entwaffnungskampagne und die schärfe Verfolgung des unerlaubten Waffenbesitzes seien die einzig neuen, ermutigenden Zeichen in einem „schrecklichen Panorama“, meint der Forscher Julio Jacobo Waiselfisz. Der Politologe Túlio Kahn ist zuversichtlicher: Sozialpolitische Maßnahmen in Elendsvierteln und die verstärkte Beschlagnahmung illegaler Waffen zeigten ebenfalls Wirkung. „Der jetzige Rückgang muss vor allem bei den Verbrechen aus ‚nichtigen Gründen‘ stattgefunden haben, die von ‚guten‘ Bürgern begangen wurden“, vermutet Kahn. In São Paulo etwa setzte der Rückgang bereits 1999 ein.

Für Jorge Werthein von der Unesco belegen die neuen Zahlen, dass vorbeugende Maßnahmen effektiver seien als repressive – und billiger obendrein.

Am 23. Oktober mündet die Kampagne in eine weltweite Premiere: eine Volksabstimmung über ein generelles Verbot des Waffenhandels. Umfragen sagen einen klaren Erfolg der Friedensbewegung voraus, die in den urbanen Mittelschichten besonders stark ist und für das Verbot mobilisiert.

Doch die Waffenlobby gibt sich noch nicht geschlagen: „Unbescholtene Bürger müssen auch weiterhin ein Recht auf Notwehr haben“, sagt Carlos Murgel von der Pistolenfabrik Taurus in Porto Alegre. Und die waffenfreundliche „Front der Parlamentarier für das Recht auf Notwehr“ verkündet trotzig: „Nein sagen ist ein Bürgerrecht.“

GERHARD DILGER