Nils Schuhmacher Hamburger Soundtrack: Die Haltung bleibt
Wie man weiß, liegt Hamburg zu großen Teilen in Nordrhein-Westfalen. Zumindest musikalisch betrachtet. Die sogenannte Hamburger Schule profitierte ja in nicht unerheblichem Maße von einem Braindrain aus Bad Salzuflen. Erwähnt seien hier Frank Spilker von Die Sterne, Jochen Distelmeyer von Blumfeld, Bernd Begemann und Bernadette La Hengst (1. 5., Museum der Arbeit). Sie folgte aber auch schrammeligen Bands aus schmuddeligen Städten, die sich ab den frühen 1980er-Jahren mit Indiepop an Punk und NDW vorbeigemogelt und mit ihrer buchstäblich uncoolen Textmusik in Mikro-Öffentlichkeiten hineinmusiziert hatten. Man denke an Die Regierung aus Essen und die Flowerpornoes aus Duisburg.
Die gute Nachricht : Alle sind noch da. Der wenig erstaunliche Zusatz: Die einen sind etwas präsenter als die anderen. Ein gutes Beispiel für ein fortwährendes Wirken unter dem Radar ist Tom Liwa (2. 5. Knust). Seine Flowerpornoes gelten gemeinhin als stilbildende Band, was eigentlich heißt: Sie ließen den Erfolg an sich vorüberziehen und konzentrierten sich darauf, einen „hübschen kleinen Kultstatus“ (Liwa) zu erwerben.
Dazu passt gut, dass Liwa seit Ende der 1990er-Jahre auch sein musikalisches Einzelgängertum gepflegt und musikalisch aufbereitet hat. Wenn man es kurz sagen will: Liwas Musik ist blattzart, seine Texte sind mal lakonisch, mal aber auch lyrisch, und dies zuweilen in einer Art, die einen wahlweise denken lässt: „mutig“ oder: „Kann ich das meinen Freunden vorspielen?“ Kommt natürlich auf die Freunde an.
Wie man weiß, besteht Hamburg zu großen Teilen aus Langenhorn und Bramfeld. Und hier steht wohl auch die Wiege einer ganz anderen Hamburger Schule. Ein gutes Beispiel: Jens Rachut, eine Generation vor Liwa, nicht unter dem Radar, sondern in einem ganz eigenen Koordinatensystem beheimatet, sicherlich einer der prägendsten Punk-Sänger und -Texter dieses Landes.
Ratttengold (ausdrücklich mit drei „t“) (28. 4., Fabrik), so heißt die (bald schon wieder nicht mehr aktuelle) Sache, stellen eine Art Werkschau seines bisherigen Schaffens dar, das sich – im Verbund mit anderen an dieser Gruppe Beteiligten – bis in die 1980er-Jahre zurückverfolgen lässt: zu Bands wie Angeschissen, Blumen am Arsch der Hölle, Dackelblut, Kommando Sonne-nmilch und Alte Sau. Die Lektion ist: Wir kommen und gehen, aber die Haltung bleibt.
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