Marrakesch kann’s nicht mehr retten

Selbst wenn der VW-Geländewagen im Wolfsburger Stammwerk gebaut würde, kommt die Belegschaft nicht um einen weiteren Arbeitsplatzabbau herum. Betriebsrat sieht dennoch keinen Bruch des VW-Tarifvertrages aus dem Winter 2004

10.000 von 103.000 Stellen könnten bei VW abgebaut werden – Aktie legt prompt zu

AUS WOLFSBURG JÜRGEN VOGES

Von einigen Pfiffen für das Management abgesehen war die Stimmung auf der Betriebsversammlung im Wolfsburger VW-Stammwerk gestern eher gedrückt. Gleich 20.000 Beschäftigte hatten sich eingefunden. VW-Chef Bernd Pischetsrieder verkündete allerdings auch keine frohe Botschaft. Mehrere tausend Arbeitsplätze sollen in den kommenden Jahren in den sechs westdeutschen VW-Werken abgebaut werden. Genaue Zahlen wurden nicht genannt, aber Experten rechnen mit einem Abbau von etwa 10.000 Stellen. Die Börse reagierte prompt auf diese Nachricht: Die VW-Aktien waren die Tagesgewinner im DAX und stiegen um 2,5 Prozent.

Selbst wenn der kleine VW-Geländewagen, der Marrakesch, in Wolfsburg gebaut werde, ändere das nichts an den Kürzungsplänen, erklärte Pischetsrieder: „Volkswagen hat an den deutschen Standorten, insbesondere in Wolfsburg, einen Personalüberhang in einer Größenordnung von mehreren tausend Mitarbeitern.“ Durch den Marrakesch könnten jedoch nur rund 1.000 Stellen gesichert werden. Momentan liegt die Auslastung im Wolfsburger Stammwerk nur bei 70 Prozent.

Nüchtern zog der VW-Chef vor seinen Beschäftigten Bilanz, wie dem weltweiten Konkurrenzdruck zu begegnen sei: „Wir kommen nicht umhin, auch die Personalkosten zu reduzieren. Und zwar entweder durch niedrigere Kosten pro Mitarbeiter, durch weniger Mitarbeiter oder eine Kombination aus beidem.“ Die Personalkosten müssten wenigstens innerhalb Deutschlands wettbewerbsfähig sein. Bisher ist auch Portugal als Standort für den Marrakesch im Gespräch.

Die überzähligen Stellen müssten „im Rahmen des bestehenden Tarifvertrages“ abgebaut werden, kündigte Pischetsrieder an. Allerdings sichert der zehn Monate alte Tarifvertrag eigentlich in den sechs westdeutschen VW-Werken alle 103.000 Arbeitsplätze – die Auszubildenden eingerechnet. Diese Arbeitsplatzgarantie gilt allerdings nur unter dem Vorbehalt, dass die Wirtschaftlichkeit der Produktion gesichert ist.

Auch der VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh wollte gestern nicht von einem Bruch des Tarifvertrages sprechen. Ein vorübergehender Abbau von Arbeitsplätzen schließe nicht aus, dass man in einigen Jahren die jetzige Zahl der Arbeitsplätze wieder erreiche. Noch in dieser Woche wollten Betriebsrat und Management weiter über die Konditionen verhandeln, zu denen der kleine Geländewagen Marrakesch doch noch in Wolfsburg gebaut werden kann. Osterloh bezifferte die Finanzierungslücke pro Geländewagen auf 883 Euro.

Jeglicher Arbeitsplatzabbau werde sozialverträglich durch Abfindungen und durch die Ausweitung der Altersteilzeitregelung erfolgen, versicherte auch der Betriebsratschef. Über die Höhe der Abfindungen habe man aber noch nicht verhandelt. Eine Altersteilzeitregelung existiert bei VW bereits. Sie soll jetzt auf den Geburtsjahrgang 1952 ausgeweitet werden.

Der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer hält die angekündigten Maßnahmen noch nicht für ausreichend: VW sollte außerdem sein Werk in Brüssel schließen, um die Überkapazitäten abzubauen.

Betriebsratschef Osterloh war gestern sichtbar froh, dass er nicht ausgepfiffen wurde, sondern ordentlichen Beifall auf der Betriebsversammlung bekam. Mit Blick auf die Luxusaffäre seines Vorgängers Volkert und die wirtschaftlichen Probleme appellierte Osterloh an die 20.000 Wolfsburger VW-Beschäftigten, nicht zuzulassen, „dass Kräfte von außen versuchen, bewusst Belegschaft und Betriebsrat auseinander zu dividieren“.