die woche in berlin
: die woche in berlin

Grüne kritisieren die Pläne für E-Busse in Berlin. Das landeseigene Wohnungsbauunternehmen Howoge ist für den Schulneubau verantwortlich und nimmt dafür Kredite auf. Ein antisemitischer Vorfall sorgt für Entsetzen – und Fragen. Und der Abgang von Chris Dercon bewegt immer noch die Gemüter.

Geht es nur um dasSymbol?

Teile der Grünen üben Kritik an E-Bussen

Wahrscheinlich werden sie es durchwinken: Auf dem Landesparteitag der Grünen am Samstag stellt der Landesvorstand einen Antrag zum Thema „Saubere Mobilität“ zur Abstimmung – und darin die Forderung, Berlins öffentliche Busflotte so schnell wie möglich zu elektrifizieren. Am Ende liefe das auf die Anschaffung von fast 1.500 batteriebetriebenen Bussen und der dazugehörigen Ladeinfrastruktur hinaus.

Ganz so schnell geht ein Systemwechsel wie dieser natürlich nicht über die Bühne, aber es handelt sich um eine Grundsatzentscheidung, die von den grünen (bzw. Grünen-nahen) Senatorinnen Ramona Pop und Regine Günther ohnehin schon vorangetrieben wird. Der Aufsichtsrat der BVG, dem Pop vorsitzt, hat bereits grünes Licht für eine erste Charge von 45 E-Bussen gegeben. Pop selbst verkündete unlängst auf dem E-Mobility-Hauptstadt-Tag, sie wolle bis Ende der Legislaturperiode schon 120 E-Busse fahren sehen.

Das Problem dahinter wird nur von kleinen Fachgruppen bei den Grünen und mittlerweile auch der SPD benannt: Batteriebetriebene Busse mögen die Zukunft sein – die Frage ist nur, wann diese Zukunft beginnt. „Jetzt“ klingt als Antwort natürlich schick. Aber die Sach­argumente der KritikerInnen lassen sich nicht so einfach vom Tisch wischen: Nicht nur sind Batterien in dieser Größenordnung heute noch verdammt teuer, sie sind auch verdammt schwer, wenig zuverlässig und verbrauchen Unmengen an seltenen Rohstoffen. Gesicherte Erkenntnisse gibt es weder zu ihrer umweltgerechten Entsorgung noch zum CO2-Fußabdruck, den ihre Herstellung und ihr Handling hinterlassen.

Einmal tief durchzuatmen und ergebnisoffen auch über ökologische Alternativen à la Brennstoffzelle oder (Bio-)Gas nachzudenken, würde Rot-Rot-Grün schmücken. Aber offenbar brauchen gerade die Grünen und Senatorin Günther eine symbolträchtige Maßnahme im Bereich Mobilität. Beim fahrradgerechten Stadtumbau werden viele schon wieder ungeduldig, weil so wenig Sichtbares geschieht, und die neuen Tempo-30-Abschnitte an Hauptstraßen sind – bislang jedenfalls – für die meisten Autofahrer eine Lachnummer sind.

All das kann und sollte kein Grund sein, sich einer sachlichen Debatte zu verweigern. Mal sehen, ob es auf dem Grünen-Parteitag dazu kommt.

Claudius Prößer

Batterie- betriebene Busse mögen die Zukunft sein – die Frage ist nur, wann diese Zukunft beginnt

Claudius Prößerüber die grüne Kritik an E-Bussen

Ein unnötiges Risiko

Howoge nimmt für Schulbau Kredite auf

Jetzt baut die Howoge also nicht nur Wohnungen, sondern auch Schulen. 29 an der Zahl soll das landeseigene Wohnungsbauunternehmen in den nächsten zehn Jahren errichten, beschloss der Senat diese Woche. 1,2 Milliarden Euro an Krediten wird das Unternehmen dafür aufnehmen. Ohne diese Kreditaufnahme sei die Schulbauoffensive nicht zu gewinnen, zumal Berlin ab 2020 die Schuldenbremse einhalten muss, beteuert Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD).

Muss man das glauben? Insgesamt 5,5 Milliarden Euro sollen bis 2026 in den Neubau von insgesamt 60 Schulen und in zahllose Sanierungen gesteckt werden. Warum sich da ausgerechnet ein Rest von 1,2 Mil­liar­den Euro – zumal er sich auf mehrere Doppelhaushalte verteilten würde –, partout nur über einen Kredit finanzieren lässt, erschließt sich da eben doch nicht so einfach. Denn Berlins Landeshaushalt schloss 2017 mit einem Rekordüberschuss von 2,1 Milliarden Euro ab. Und auch die Konjunkturaussichten, glaubt man den Wirtschaftsexperten, sind weiterhin gut. Da sollte die Schuldenbremse nicht das größte Schreckgespenst am Horizont für den Schulbau sein.

Natürlich kann man nun wie Linken-Landeschefin Katina Schubert argumentieren. Warum nicht auslagern, was sich auslagern lässt? Um dann noch mehr Haushaltsgelder übrig zu haben für anderes. Bittsteller gibt es schließlich immer genug. Oder man steckt es in die Schuldentilgung, Kollatz-Ahnens Steckenpferd. Dann sind schließlich alle glücklich, oder?

Das wird sich zeigen. Auch wenn Kollatz-Ahnen betont, alles transparent machen zu wollen: Letztlich lagert man da eine Aufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge, den Schulbau, aus dem Haushalt aus – und zwar ohne es zu müssen.

Das Land wird diese Kredite irgendwann zurückzahlen müssen. Es sind zinsgünstige Kredite, beschwichtigt der Finanzsenator, weil die Ho­wo­ge ja ein landeseigenes Unternehmen sei. Die Kredite sind jedoch nur so günstig, weil das Land für die Howoge gegenüber den Banken die Zahlungsgarantien übernimmt, warnen Privatisierungskritiker. Das heißt: Bei Pfusch am Bau muss das Land trotzdem zahlen.

Auch wenn das hypothetische Schwarzmalerei ist: Ein Risiko bleibt, das man nicht hätte eingehen müssen. Bleibt zu hoffen, dass die Howoge so „langfristig nachhaltig wirtschaften“ will, wie sie diese Woche versprach. Andernfalls hätte sich Rot-Rot-Grün böse verspekuliert.

Anna Klöpper

Eine Zäsur in der Debatte

Antisemitischer Über- griff auf 21-Jährigen

Gerade mal 47 Sekunden lang ist das Handyvideo, das ein 21-Jähriger am Dienstagabend online gestellt hat. Diese Dreiviertelminute hat die Debatte über Antisemitismus in Berlin, in Deutschland verändert. Der Film ist eine Zäsur. Weil er im Bild zeigt, was sonst meist nur verbal geschildert werden konnte – weil er festhält, was viele gern relativieren. An diesen 47 Sekunden gibt es nichts zu deuteln.

In dem Video ist zu sehen, wie ein junger Mann mit Basecap auf den Filmenden mit voller Wucht mehrfach mit einem Gürtel einschlägt und ihn wiederholt als „Yahudi“ (Arabisch für „Jude“) bezeichnet, bis schließlich ein anderer, Vollbart tragender junger Mann ihn wegzieht. Das 21-jährige Opfer war mit einem Freund unterwegs, beide trugen Kippa, die jüdische Kopfbedeckung für Männer. Der Übergriff geschah auf der Raumer Straße in Prenzlauer Berg, die – wie eine offenbar gut informierte überregionale Zeitung schrieb –, nicht als Pro­blem­kiez bekannt sei.

Am Mittwochmorgen trafen innerhalb von knapp zwei Stunden fast wortgleiche Stellungnahmen aller relevanten Landes- und Bundespolitiker ein. Selbst Kanzlerin Angela Merkel (CDU) verurteilte den „schrecklichen Vorfall“ und betonte: „Der Kampf gegen antisemitische Ausschreitungen muss gewonnen werden.“

Am Donnerstagmittag stellte sich der Hauptverdächtige, gegen ihn wurde Haftbefehl wegen gefährlicher Körperverletzung erlassen. Der Mann, ein 19-jähriger Flüchtling aus Syrien, befindet sich in Untersuchungshaft. Er hat sich „zur Sache“ bisher nicht geäußert.

Nicht völlig geklärt ist deswegen, was der Eskalation vorausging. Das Handyvideo beginnt mit den Gürtelschlägen, die Szenen davor zeigt es nicht. Für einige Irritationen sorgte, dass der 21-jährige Adam A. selbst, wie er in Interviews nach dem Vorfall sagte, kein Jude ist; er kommt aus Israel und lebt seit drei Jahren in Deutschland. Der Spaziergang durch seinen Kiez sollte laut A. ein Test sein, ob das als erkennbar jüdischer Mensch möglich ist.

Die Antwort auf diese Frage ist weniger klar als die Stellungnahmen der Politiker. Antisemitismus ist vorhanden, wie verbreitet er ist, muss immer wieder untersucht – und bekämpft – werden. Unstrittig bleibt: Als ein Mensch, der sich sichtbar in Sachen Religion, sexueller Identität oder einfach nur vom Mainstream unterscheidet, muss man auch in Berlin vorsichtig sein. Leider. Bert Schulz

Die Kacke war es nicht

Chris Dercon wurde im Regen stehen gelassen

Acht Tage sind es nun her, dass bekannt wurde: Chris Dercon, Intendant der Volksbühne für gerade mal sieben Monate, schmeißt hin. Der erste Reflex: Er hat es nicht mehr ausgehalten. All die bösen Anfeindungen, die offenen Briefe der alten Mitarbeiter, die zur Schau getragene Skepsis von Kultursenator Klaus Lederer (Linke) seit Ende 2016, der Kot vor seinem Büro im Spätsommer, schließlich die Besetzung des Hauses am Rosa-Luxemburg-Platz im Herbst 2017.

Die Woche nach Dercons Abtritt brachte zum Vorschein, dass der ganze Hass, der dem fließend Deutsch sprechenden Belgier und ehemaligen Chef der Tate Modern, Chris Dercon, in dieser Stadt massiv entgegenschwappte und dabei manchmal ebenso provinziell wie stalinistisch daherkam, eher einer der weniger relevanten Gründe für seinen Abgang war.

Am Montag verkündeten sowohl der neue Interimschef Klaus Dörr in einem Interview als auch Klaus Lederer im Kulturausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses: Die Volksbühne habe nicht nachhaltig produziert. Die Produktionen seien zu teuer und liefen zu selten. Wäre der Betrieb so weitergegangen, wäre der Laden spätestens in der nächsten Spielzeit komplett an die Wand gefahren.

Klaus Lederer stand gut da, als er sagte, es brauche Zeit, eine neue Personalie zu finden – der Prozess solle außerdem transparenter werden. Nicht weniger elegant kam er am Donnerstag rüber, als er den Auflösungsvertrag mit Dercon veröffentlichte. Dercon erhält sein Gehalt bis Jahresende, weitere Ansprüche bestünden nicht. Es hätte teurer werden können für Berlin.

Aber wie kommt die Berliner Kulturpolitik weg, wenn man zurückblickt?

Immerhin war Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) 2014 auch Kultursenator, er ist neben dem damaligen Kulturstaatsminister Tim Renner (SPD), der inzwischen vollkommen in der Versenkung verschwunden ist, der Hauptverantwortliche für das ganze Debakel. Müller hat in den drei Jahren seit seiner Entscheidung für Dercon geschwiegen. Laut Dercon hat er keine einzige neue Aufführung an der Volksbühne besucht. Er hat Dercon auf ganzer Linie im Regen stehen lassen.

Susanne Messmer