Die Falle der Identität

Bestellter Konflikt zum Gipfel: Vorabdruck aus dem Buch „Riot“, das heute Abend vorgestellt wird

„Riot. Was war da los in

Hamburg? Theorie und Praxis

der kollektiven Aktion“, hg. von Karl-Heinz Dellwo, Achim Szepanski und J. Paul Weiler, Laika 2018, 258 S., 16 Euro

Release-Lesung: heute, 20 Uhr, Buchhandlung im Schanzenviertel, Schulterblatt 55

Von Hans-Christian Dany

Der Konflikt wurde zum G20-Gipfel bestellt. Datum und Ort diktierten die Veranstalter. Durch die Vorgaben fielen für den Widerstand strategische Möglichkeiten, wie Überraschung und Unberechenbarkeit, von vornherein flach, wodurch viel von der eigenen Stärke gleich ausgebremst wurde.

Die, die sich auf das Bestellt-werden einließen, prahlten damit, den „größten Schwarzen Block aller Zeiten“ zu organisieren. Aber tappten sie mit dieser Angebernummer nicht schon in die nächste Selbstschwächung? Als sei das alles noch nicht genug, lenkten die Großspurigen hunderte Zugereister, die sich in der Hamburger Geografie nicht auskennen konnten, in einen engen Kanal an der Hafenstraße, der die Bewegungsmöglichkeiten stark einschränkte. Nachdem der Polizei schon die Kontrolle über Zeit und Raum sowie die Bewegungsfreiheit überlassen wurde, taten die Organisatoren von „Welcome to Hell“ das, wovon sie ahnen konnten, dass dabei wenig Gutes zu erwarten war: Sie verhandelten mit der Polizei.

Die Kommunikation wurde von Sprechern geführt, die die Position ihrer Stärke immer wieder daraus bezogen hatten, nicht zu verhandeln. Einen Ort wie die Rote Flora hätte es sicherlich nie so lange gegeben, wenn sich den Verhandlungen nicht immer wieder entzogen worden wäre.

Möglicherweise wurde Gesprächsbereitschaft von der Polizei als Zeichen der Schwäche ausgenutzt. Wahrscheinlicher aber scheint, dass es schon vorher den Plan gab, die, die blockiert im Graben stehen, niederzuknüppeln. Der Angriff funktionierte wie am Schnürchen. Diesmal gelang das Ausbremsen noch reibungsloser als bei der letzten autonomen Großdemo in Hamburg am 21. Dezember 2013.

Von dem blitzschnell zerschlagenen schwarzen Block, der sich gedemütigt und teilweise schwer verletzt über die Mauer flüchten musste, bleibt nach wenigen Minuten nur ein Lautsprecherwagen, aus dem eine sich überschlagende Stimme sich in einem fort empörte.

Selbstredend empört auch mich die nackte Gewalt der ausführenden Organe einer immer weiter ins Totalitäre gleitenden deutschen Postdemokratie, der in den folgenden Tagen von einer abgründigen Zivilgesellschaft erschreckend der Rücken gestärkt werden sollte. Aber mache ich mich nicht zum Clown, wenn ich mich darüber empöre? Sich zu empören, die Polizei sei brutal, hinterhältig und undemokratisch vorgegangen, was soll das? Selbstredend tut sie das, wenn ihr Gelegenheit dazu gegeben wird. Warum sollte von ihr etwas anderes erwartet werden? (…)

Hans-Christian Dany lebt in Hamburg. Letztes Buch: „Schneller als die Sonne“ (Edition Nautilus 2015)