Rechtlich abgesichert: Sippenhaft für Schickeria

FUSSBALLFANS Der BGH bestätigt in einem Grundsatzurteil die Praxis der Stadionverbote

BERLIN taz | Stadionverbote können auch dann zulässig sein, wenn Fußballfans eine Beteiligung an Gewalttätigkeiten nicht nachgewiesen worden ist. Diese Entscheidung traf der Bundesgerichtshof (BGH) am Freitag. Das Grundsatzurteil war von Betroffenen, Fußballvereinen und Polizei mit Spannung erwartet worden. Doch schon gestern wurde Kritik laut, eine Fortsetzung vor dem Verfassungsgericht scheint nun möglich.

Der BGH erklärte es für rechtens, dass ein Mitglied des Bayern-Fanclubs „Schickeria“ vom MSV Duisburg zwei Jahre Stadionverbot erhielt, obwohl ihm nie eine Straftat nachgewiesen werden konnte und das Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt wurde. Der Mann befand sich in einer 60-köpfigen Fangruppe, die von der Polizei wegen des Verdachts, an Gewalttätigkeiten beteiligt gewesen zu sein, eingekesselt wurde.

Der BGH befand, es komme gar nicht auf die Strafbarkeit des Beschuldigten an. Die Vereine hätten ein „schützenswertes Interesse“, die Stadionbesucher vor Übergriffen zu bewahren. Um überhaupt eine präventive Wirkung erzielen zu können, dürften an die Vergaben von Stadionverbote „keine überhöhten Anforderungen“ gestellt werden. Grundsätzlich könne der Veranstalter aufgrund seines „Hausrechts“ frei darüber entscheiden, wen er hereinlässt oder nicht. Und weiter: „Die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe, mit der der Kläger in Gewahrsam genommen wurde, rechtfertigt die Annahme, dass er sich bei Fußballveranstaltungen in einem zu Gewalttätigkeiten neigenden Umfeld bewegt und von ihm deshalb künftige, Dritte gefährdende Störungen zu besorgen sind.“

Gerade diesen Satz hält Rechtsanwalt Dr. Achim Krämer, der den unterlegenen Kläger vertrat, für angreifbar: „Das läuft auf eine Art Sippenhaft hinaus.“ In neun von zehn Fällen würde er davon abraten, vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen, aber dieses Urteil könne man dort „guten Gewissens“ überprüfen lassen. Er halte es für sehr fraglich, ob die auch im Urteil angesprochenen Grundrechte (Persönlichkeitsrecht, Grundsatz der Gleichbehandlung) dem Richterspruch nicht entgegenstünden.

Wilko Wicht, ein Vertreter des Fanrechtefonds, der bislang die Verfahrenskosten des Bayern-Fans getragen hat, erklärt: „Es ist gut möglich, dass wir jetzt vor das Verfassungsgericht ziehen.“ Das Prinzip der Unschuldsvermutung würde hier außer Kraft gesetzt. Wenn der Staat so handle, würde man ihn zu Recht als „totalitär“ bezeichnen.

Beim Deutschen Fußball-Bund und der Polizei hingegen begrüßte man die Entscheidung des BGH. Der DFB-Sicherheitsbeauftragte Helmut Spahn sagte, man sehe sich in der Linie bestätigt, friedliche Fans vor gewaltbereiten zu schützen. Rainer Wendt von der Polizeigewerkschaft behauptete gar: „Wäre das Verbot gekippt worden, hätte sich die Polizei vom Fußball verabschieden können.“ JOHANNES KOPP

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