Birthlers stiller Kampf

Die Bundesbeauftragte für Stasi-Unterlagen ringt mit dauernder Kritik und um die Zukunft ihrer Behörde. Diese scheint vorerst gesichert, denn das Interesse an den Unterlagen ist nach wie vor groß

VON DANIEL SCHULZ

Marianne Birthler redete gestern über die Vergangenheit und meinte die Zukunft. Die Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen stellte in Berlin ihren siebten Tätigkeitsbericht vor, in dem steht, was ihre Behörde zwischen Juli 2003 und Juni 2005 gemacht hat. Und sie versuchte ihren Kritikern zu beweisen, dass ihre Behörde auch weiterhin unentbehrlich ist.

Gerade in den vergangenen Jahren hatte die Birthler-Behörde einiges zu erdulden. Sie wurde ohne Absprache vom Innenministerium zur Kulturbeauftragten abgeschoben. Anfang des Jahres beschwerte sich der Chef der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger, die Unterlagenbehörde habe ihren gesetzlichen Auftrag „überproportional ausgedehnt“ und wildere in seinem Revier. Immer wieder flammten Diskussionen auf, ob die Behörde in das Bundesarchiv einzugliedern oder zumindest in absehbarer Zeit zu verkleinern sei. Externe Wissenschaftler mokierten sich in Zeitschriften wie dem Deutschland Archiv darüber, dass die Birthler-Behörde nicht einmal anständig archivieren könne und ihren eigenen Wissenschaftlern zudem bevorzugt Zugang zu den Unterlagen gewähre. Birthler erwähnte die Vorwürfe nicht wörtlich, aber sie verteidigte sich gegen sie. Die vergangenen zwei Jahre zeigten, dass von einem „erlahmenden Interesse an den MfS-Unterlagen keine Rede sein kann“, so die Behördenchefin. Und nannte große Zahlen: Jährlich seien in dieser Zeit 90.000 Anträge auf Aktenüberprüfung eingegangen. Dazu kämen 111.000 Anträge, nach denen geprüft werden soll, ob jemand für die Stasi gearbeitet hat. Bis Ende 2006 läuft die Frist, in der Beamte von ihren Behörden überprüft werden können.

Auch das so genannte „Kohl-Urteil“, mit dem das Bundesverwaltungsgericht im Juni 2004 den Gebrauch von Stasi-Akten stark einschränkte, habe dem Interesse keinen Abbruch getan, sagte Birthler. Mit 1.000 Anträgen von Wissenschaftlern und Journalisten sei annähernd das Niveau der Vorjahre gehalten worden. Ihr Fazit: „Die Aufgaben meiner Behörde sind auf absehbare Zeit noch nicht erfüllt.“

Mit einer Umfrage unter den Kunden der Behörde legte die Bundesbeauftragte nach. 94 Prozent der Nutzer fühlten sich gut beraten, 88 Prozent hielten ihre Behörde auch weiterhin für wichtig, sagte Birthler. Die Zusammenarbeit mit externen Wissenschaftlern soll ebenfalls verbessert werden, indem „Externe“ in den wissenschaftlichen Beirat aufgenommen werden. Zudem will Birthler eine Änderung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes anregen. Nach dem Tod betroffener Personen sollen deren Akten nach einigen Jahren leichter zugänglich gemacht werden.

Die Zukunft ihrer Behörde hält Birthler also für sicher, weniger gewiss ist ihre eigene. Eigentlich war ihr die Wiederwahl im Oktober sicher, doch die Neuwahlen kamen dazwischen. Die Grünen-Politikerin zeigte jedoch auch hier Zuversicht: Sie stelle sich zur Wahl, der Rest sei Sache des Bundestages.

Die Neuwahlen bringen der Birthler-Behörde auch wieder Schlagzeilen in den Zeitungen. Linkspartei-Spitzenkandidat Gregor Gysi hat vor dem Berliner Verwaltungsgericht erwirkt, dass seine Akten vorerst nicht eingesehen werden können. Das Gericht hat damit allerdings noch nicht in der Sache entschieden. Einen Vergleich zwischen Gysi und Helmut Kohl lehnte Birthler mit deutlichen Worten ab. Bei Kohl sei immer klar gewesen, dass er Betroffener gewesen sei. „Gysi hat dagegen mit dem MfS zusammengearbeitet.“ Es existieren allerdings keine Unterlagen, die beweisen, dass Gysi jemals als „IM“ registriert wurde.