: Teures Öl, armer Eichel
Wenn die Benzinpreise steigen, bedeutet das nicht, dass der Staat mehr Steuern einnimmt. Im Gegenteil
AUS BERLIN ULRIKE HERRMANN
Die Ökosteuer soll um 3 Cent pro Liter Benzin sinken, damit das Tanken wieder billiger wird. Das fordert Angela Merkel, seit die Spritpreise letzte Woche neue Höchststände erreichten.
Ihre Rechnung: 3 Cent weniger Ökosteuer würden in der Rentenkasse gar keine Löcher reißen – dienten sie doch gegenwärtig dazu, die erneuerbaren Energien zu fördern. Zudem hat die Union den Staat als raffgierigen Profiteur ausgemacht: Durch die explodierenden Benzinpreise würden anteilig auch die Umsatzsteuern steigen. Diese Zusatzeinnahmen müssten umgehend an die Bürger zurückgegeben werden.
Welche Zusatzeinnahmen? fragen Grüne und SPD zurück. In ihrer Welt ist es genau umgekehrt: Steigende Benzinpreise führen zu sinkenden Steuerflüssen. Das Bundesfinanzministerium hat es akribisch aufgelistet. So werde die Mineralölsteuer als „fester Steuersatz je Liter“ erhoben. Beim Benzin sind es momentan 65,4 Cent, bei Diesel 47 Cent. Auch wenn die Preise an den Zapfsäulen steigen, bleibt der Anteil pro Liter für den Fiskus also gleich.
Besonders bedauerlich für den Finanzminister: Sobald der Liter Benzin teurer wird, sinkt der Verbrauch. So gaben in einer aktuellen Polis-Umfrage 16 Prozent der Autofahrer an, dass sie ihren Wagen nur noch beruflich nutzen. 47 Prozent sagten, sie nutzten das Auto weniger. Und 63 Prozent erklärten, sie tankten so billig wie möglich.
Der Trend zur Sparsamkeit hält schon länger an: So musste das Finanzministerium feststellen, dass die Mineralölsteuer 2005 in den ersten acht Monaten 3,9 Prozent weniger eingebracht hat also noch vor einem Jahr. Und dabei war auch 2004 kein gutes Jahr für den Finanzminister: Wie das Statistische Bundesamt abschließend ermittelte, summierte sich die Mineralölsteuer damals auf 41,8 Milliarden Euro – 1,4 Milliarden Euro weniger als 2003.
Was an Mineralölsteuer wegbricht, kann auch durch die Mehrwertsteuer nicht aufgefangen werden. Sie wird zwar preisabhängig erhoben – sollte der Liter Benzin demnächst tatsächlich 1,50 Euro kosten, würde der Staat 21 Cent als Umsatzsteuer kassieren. Doch dieses Plus dürfte durch ein Minus anderswo kompensiert werden, sparen doch viele Bürger die Zusatzkosten fürs Benzin wieder ein, indem sie etwa seltener ins Restaurant gehen. Erkenntnis des Finanzministeriums: „Jeder Euro kann nur einmal ausgegeben werden.“
Doch jenseits dieser technischen Daten zweifeln Grüne und SPD auch an der Grundlogik des Unionsvorschlags. Selbst wenn die Benzinsteuern sinken würden – die Preise könnten trotzdem steigen. Immer wieder rechnen die Regierungsparteien vor, dass sie die Mineralölsteuer letztmals am 1. Januar 2003 angehoben haben; damals kostete der Liter Benzin 1,10 Euro. Aktueller Preistreiber aus Kabinettssicht: die Mineralölindustrie.
Auch eine kleine Retourkutsche Richtung Union kann sich die Koalition nicht verkneifen. Gestern ließ sie ein Papier zirkulieren, das an alle Erhöhungen der Mineralölsteuer seit 1988 erinnerte. Conclusio: Die Regierung Kohl ließ die Mineralölsteuer um insgesamt 25,56 Cent steigen, Rot-Grün nur um 15,33 Cent.
Allerdings beginnt man nun auch im Regierungslager zu zweifeln, ob es eine gute Idee war, die eigene Erhöhung der Mineralölsteuer in eine „Ökosteuer“ umzutaufen. „Das ist ein rein politischer Begriff“, stöhnt man in der SPD-Fraktion, der sich nun gut als Schimpfwort eignet. Dazu führte auch ein Managementfehler der Schröder-Regierung: Sie ließ die Ökosteuer stets zum 1. Januar steigen – wenn die Nachrichten fehlten und der Ölpreis winterbedingt sowieso anzog. Da waren mediale Benzinwut-Kampagnen vorprogrammiert.
Kanzler Schröder gab schließlich nach. Legendär, wie er im Herbst 2000 die Entfernungspauschale aufstockte. Wenig später sah er ein wenig dämlich aus – der Benzinpreis fiel auf ungeahnte Tiefststände. Diese Erfahrung der Ad-hoc-Fehlsteuerung könnte Angela Merkel wiederholen, falls sie als Kanzlerin an der Mineralölsteuer dreht. Denn auch diesmal rechnen Ölexperten damit, dass Tanken sowieso wieder billiger wird: Klaus Matthies vom Hamburger Wirtschaftsforschungsinstitut HWWA erwartet im nächsten Jahr Preise „deutlich unter 60 Dollar pro Barrel“. Der Ölpreis ist bereits von 70 auf rund 65 Dollar gesunken.