Doppeldeutige Blickpunkte

FOTOGRAFIE Die Ausstellung „Points of View“ stellt in Hildesheim anhand zeitgenössischer Fotografien die Frage nach dem Ort. Auf dreifache Weise: als Lokalisation, als Sujet und als Verortung des Künstlers

Eine kleine Böschung, ein Gewerbeneubau, eine Gartenecke, eine Straßenkurve, kleine Wände. Es sind auf den ersten Blick unscheinbare, vertraut wirkende Orte, die Oliver Boberg fotografiert. Ganz alltägliche Bilder, die wir alle schon einmal gesehen zu haben glauben, überall. Was sich hinter dem scheinbaren Realismus des in Fürth lebenden Künstlers verbirgt, enttarnt erst ein zweiter Blick auf jenen Ort, an dem seine Fotografien entstanden sind: Seit den späten Achtzigern baut Boberg in seinem Atelier kleine Modellbauten – und fotografiert sie so, dass ihre Künstlichkeit verschwindet. Ein raffiniertes Spiel mit der Illusion einer vertrauten Realität.

Auch der Ursprung der Bilder Jörg Sasses ist nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Seit Anfang der 90er arbeitet Sasse mit präzise komponierten computermanipulierten Fotografien, deren Vorlagen aus seinem Archiv, meist aber von Amateurfotografen stammen. Deren Titel, eine um das Erscheinungsjahr ergänzte vierstellige Zahl, erzeugt Sasse mit dem Zufallsgenerator und ordnet seine „Tableaus“ Kategorien zu: Farben, Materialien oder Muster. Was ihn dabei interessiert, ist jenes „Unsichtbare“, das erst in der Betrachtung hinzugefügt wird: Bilder, die ihn selbst erstaunen.

Zu sehen sind Arbeiten von Boberg und Sasse ab Samstag in der Ausstellung „Points of View. Orte der Fotografie“, die bis Ende Januar in Zusammenarbeit mit dem Kunstverein Hildesheim im Roemer- und Pelizaeus-Museum zu sehen ist und zeitgenössische Fotografien von elf Künstler_innen versammelt, die auf ganz unterschiedliche Weise die Frage nach dem Ort der Fotografie stellen: als Lokalisation, als Sujet des Bildes, als Verortung der Künstler_innen. Und vom Standpunkt von Künstler und Kamera ebenso erzählen wie vom Verhältnis des Erzählers zum Erzählten und der Beziehung von der Wirklichkeit und dem Bild, das wir uns von ihr machen.  ROBERT MATTHIES

■ Hildesheim: Sa, 20. 10. bis So, 27. 1. 2013, Roemer- und Pelizaeus- Museum, Am Steine 1-2; Di – So 10 – 18 Uhr; zur Ausstellung erscheint ein Katalog (Kehrer, 122 S., 28 Euro)