der rote faden: Was wir sind, sollen, müssen – und auf keinen Fall dürfen
Durch die Woche mitNina Apin
Als Bundeskanzlerin Merkel und ihr neues Groko-Kabinett am Dienstag im brandenburgischen Schloss Meseberg eingetroffen waren, um dort (offenbar mit Rotwein, aber ohne Himbeergeist, so die Auskunft der Kanzlerin auf eine selten dämliche Journalistenfrage hinterher) an ihrem Teamgeist zu arbeiten, kam aus Karlsruhe ein dringlicher Arbeitsauftrag: Das Bundesverfassungsgericht ließ wissen, dass die Grundsteuer in ihrer heutigen Form verfassungswidrig sei. Nachbesserungen bitte bis 2019.
Das saß, in seiner Absolutheit. Aber was, um Himmels willen, hatte es genau zu bedeuten? Wenn für Immobilien in Dresden oder Ostberlin, zuletzt bewertet im Jahr 1935, oder irgendwo im Westen, letzte Berechnungsgrundlage 1964, jetzt ein neuer Wert festgelegt wird – welche Kommunen haben dann das Nachsehen? Was heißt das für Immobilieneigentümer? Und dürfen diese ihre Mehrkosten dann auf die Mieten umlegen? Für welche Variante sich die Meseberg-Politiker auch entscheiden werden – eine neue „Bodensteuer“, die gleich hoch ist für bebaute wie unbebaute Grundstücke oder ein „Äquivalenzmodell“, das allein die Fläche besteuert –, an eine Abschaffung von „Deutschlands ungerechtester Steuer“ (Bild) glaubt irgendwie keiner. Nicht mal der Bild-Kolumnist, der mal eben befand: „Kein deutsches Schul-Klo bliebe unsaniert, nur weil Sie keine Grundsteuer mehr zahlen“.
Wobei wir bei einem journalistischen Grundproblem dieser Woche wären. Von Titelblättern, Kommentaren und Kolumnen erwarten die LeserInnen kühne Thesen und, je nach Medium, eine entschiedene Positionierung. Bei volksnahen Verbraucherthemen wie Steuern liegt die hemdsärmelige Meinung quasi auf der Straße. Was aber, wenn es sowohl schreckliche Bilder von Giftgasopfern in Syrien gibt als auch Berichte über einen „Propagandakrieg der Bilder“, in dem jede Seite potenziell interessiert an Desinformation ist? Was macht man also, wenn es zwar viel Grund zur Empörung gibt, aber noch keine eindeutige Beweislage, die man sonst standardmäßig abwartet, bevor man etwas bewertet? Wie geht man mit der Aussicht um, dass es eine eindeutige Beweislage so schnell (und vielleicht nie) geben wird? Und was ist, wenn der US-Präsident schneller Drohungen in Richtung Syrien und Russland losschleudert, als mal „Luftschlag“ schreiben kann?
Soll man da jetzt cool bleiben, erst mal abwarten, wie sich die Nachrichtenlage entwickelt (alte Medienschule) oder irgendwas „nach vorne berichten“ (neue Medienschule), in eine ungewisse Lage hinein? Oder soll man nicht einfach wie sonst auch: schildern, was ist, recherchieren, warum das so ist – und das Interpretieren dessen, was jetzt getan werden sollte, den Meinungsjournalisten überlassen?
Haben wir dann auch getan – und natürlich war das Ergebnis unbefriedigend. Natürlich haben wir uns gegenseitig der Kriegstreiberei, der politischen Naivität, der Weltfremdheit und so weiter bezichtigt. Die grundverschiedene Haltung zu einem militärischem Eingreifen in Syrien, zwischen Pazifismus aus Prinzip und Bellizismus im Dienst der Menschenrechte, riss alte Gräben wieder auf, die seit dem Irakkrieg einigermaßen befriedet schienen. Jetzt ging es wieder los – auch die Online-Leserschaft sparte nicht mit Belehrungen darüber, was linker Journalismus ist, soll, muss, und auf keinen Fall darf. Führt halt im konkreten Fall aber auch nicht weiter.
Gut, dass auch noch die bundesweite Aktionswoche gegen zu hohe Mieten läuft. Hier fällt die Positionierung leicht. Auch die Faktenlage ist eindeutig: Wohnen ist zu teuer. Etwa 20 Prozent ihres Einkommens müssen Bundesbürger im Schnitt für die Miete ausgeben, in Ballungsräumen mit knappem Wohnraum sogar mehr. Laut einer Studie der Hanns-Böckler-Stiftung von Ende 2017 müssen etwa vier von zehn Haushalten mehr als 30 Prozent ihres Nettoeinkommens für Miete ausgeben. Was dann übrig bleibt zum Leben, liegt für etwa 1,3 Millionen Haushalte in deutschen Großstädten noch unter den Hartz-IV-Sätzen.
„Ein Wochenlohn muss für die Miete reichen“, forderten Berliner Grünen-PolitikerInnen in der taz. Und gerade als ich begann, im Kopf zu überschlagen, ob das bei mir hinkäme (Ergebnis: leider nein), erreichte mich die Mail eines Bekannten, der als Musiker in Kreuzberg lebt. Nachdem er sich den Modernisierungsvorhaben seines Vermieters widersetzt habe, sei jetzt die Räumungsklage gekommen. „Studio, Wohnraum & Zukunft stehen unter Beschuss!“, schrieb er. Und veröffentlichte auf seiner Website ein Demo seines neuen Albums –, die Tracks drehen sich allesamt um Armut und Obdachlosigkeit. Spenden erbeten.
Am Samstag um 14 Uhr steigt am Potsdamer Platz die dazu passende Demo: „Gemeinsam gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn“. Einfacher wird es diese Woche nicht mehr mit der Positionierung.
Nächste Woche Robert Misik
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