wortwechsel: Zustimmung, Kritik und viele Fragen
Wird das eine Insektizid verboten, folgt ein neues. Sind Muslime Juden von morgen? Was wird mit der Grundsteuer? Passen aggressiver Kapitalismus und Demokratie zusammen?
Stummer Frühling
„Vom Überleben im grünen Bereich “, taz vom 29. 3. 18
Es ist ja schön, dass die EU nach zehn Jahren Diskussion endlich ein paar besonders gefährliche Insektengifte aus der Gruppe der Neonicotinoide verbieten möchte. Doch noch bevor die Verbote überhaupt beschlossen sind, droht für die Insektenwelt bereits eine neue Gefahr. Die Konzerne Bayer und DowDuPont wollen neue Insektengifte mit ähnlich komplizierten Namen in Deutschland auf den Markt bringen: Sulfoxaflor, Cyantraniliprol und Flupyradifuron.
Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit verhält sich in dieser Angelegenheit maximal intransparent. Das Umweltinstitut München musste sogar vor Gericht ziehen, weil die Behörde es schon für ein Geschäftsgeheimnis hält, ob überhaupt Zulassungen für Pestizide mit diesen Wirkstoffen beantragt wurden, und die Auskunft darüber verweigert. So erfahren UmweltschützerInnen oder ImkerInnen erst davon, dass diese Gifte auf den Markt kommen, wenn sie auch schon eingesetzt werden.
Die neuen Insektizide sind zwar weniger giftig als die Neonicotinoide, aber immer noch Dutzende Male gefährlicher für Bienen als das berühmt-berüchtigte DDT. DDT hat in den 1960er Jahren in den USA die erste Diskussion über den „stummen Frühling“ ausgelöst und ist seit Jahrzehnten international geächtet.
Wenn wir unseren Kindern eine lebensfähige Umwelt hinterlassen wollen, müssen wir den Pestizidwahnsinn jetzt endlich stoppen. Geben wir der Natur die Chance, sich zu erholen. Angelika Kollosche, Berlin
Juden von morgen
„Progressive Vereinfacher“, taz vom 5. 4. 18
Von Herzen gerne würde ich Herrn Lagodinsky von der Heinrich Böll Stiftung zustimmen, wenn er schreibt, Muslime seien nicht „die Juden von heute“. Doch sowohl die aktuellen Umfragen über den Islam in Deutschland als auch meine persönlichen Eindrücke weisen eine Menge haarsträubende Parallelen zum Dritten Reich auf: dass die Mehrheit hierzulande „unter sich“ (christlich Weißen) bleiben will und dass die Fremden doch bitte schön alle schnell verschwinden sollen. Dass sie in diesen „Anderen“ (in der Gesamtgesellschaft eine geringe Anzahl) eine Gefahr der Vermischung und eine Art Verunreinigung sieht, eine Bedrohung ihrer deutschen Werte.
Selbst in meinem Bekanntenkreis höre ich von den Deutschen jetzt Sprüche, die sie sich vor wenigen Jahren noch nicht auszusprechen getraut hätten: „In diese Schule soll unser Elfjähriger nicht gehen, da ist der Ausländeranteil zu hoch, die Moslems integrieren sich ja nicht“; „ich möchte hier in zehn Jahren nicht gezwungen werden, den Tschador zu tragen“; „die Flüchtlinge nehmen mir meine Rente weg“ usw. Sicher, die Muslime sind bislang nicht von uns vergast worden – aber massenweise erniedrigt, beleidigt, angezündet und ermordet. Insofern behaupte ich, Muslime sind die Juden von morgen. Susanne Nowak, Frankfurt am Main
Ungern in Deutschland
„Ungern in Ungarn“, taz vom 10. 4. 18
Liebe Redaktion, es ist wichtig, autoritäre, rechtspopulistische Regierungen – oft durch klare Mehrheitsvoten gewählt – in die Kritik zu nehmen. Aber: Meint ihr nicht, es gibt einen Zusammenhang zwischen linksliberalem deutschem Chauvinismus und erstarktem antiliberalem Nationalismus in Ungarn, Polen, der Türkei etc.? Ist es zielführend, sich über das Demokratieverständnis der europäischen Nachbarländern zu erheben? „It can’t happen here“, ausgerechnet in Deutschland, dem geläuterten Rechtsstaat, nicht wahr? Horst Seehofer ist Heimatminister. In diesem Sinne: Ungern in Deutschland. Sören Köpke, Hannover
Wählen gehen
„Sie schafft das“, taz vom 12. 4. 18
Dass Frau Knabes Leistung nicht angemessen honoriert wird, ist traurig. Das fett gedruckte Zitat: „Wir haben keine Lobby. Wir sind Selbstständige, und das ist staatlich so gewollt“, trifft die Sache auf den Punkt. Und darum fein, dass ihr Verdi erwähnt. Denn dort haben die Soloselbstständigen eine Adresse für ihre Anliegen. Auch die Selbstständigenvertretungen werden dieses Jahr neu gewählt. Jede und jeder ist herzlich willkommen, sich für die Interessen der Solos einzubringen: selbststaendige.verdi.de.
Philipp Schramm, Bamberg
Das ist falsch
„Wohnen darf nicht noch teurer werden“, taz vom 11. 4. 18
Lieber Hannes Koch, dass die Betriebskosten für Wohnungen zu hoch sind, mag ich ja nicht bestreiten. Bei den Kaltmieten, also dem, was tatsächlich der Vermieter bekommt, sind die Preise sehr heterogen verteilt. Vielleicht ist es für Berliner Kiezbewohner unvorstellbar, dass es Städte mit (zu) billigem Wohnraum gibt. Schlichtweg falsch ist aber die Behauptung, dass Immobilienbesitzer mit der Grundsteuer einen Teil ihres Gewinnes an die Gemeinschaft abtreten würden oder sollten. Die Grundsteuer ist nicht am Gewinn orientiert. Auch wer Verlust mit seiner Immobilie macht, muss sie dennoch bezahlen. Gewinne werden über die Anlage V in der Steuererklärung ermittelt und genauso wie Einkommen aus Lohnarbeit versteuert. Einnahmen aus Kapitalvermögen hingegen werden geringer besteuert. Da könnten wir besser etwas ändern! Thomas Rensing, Duisburg
Helmut Kohl war’s
„Wohnen darf nicht noch teurer werden“, taz vom 11. 4. 18
Interessant ist in diesem Kontext die Geschichte der Vermögensteuer: Die Vermögensteuer ist wie die Grundsteuer eine Substanzsteuer (im Gegensatz zu Ertragsteuern). Im Jahr 1995 hat das Verfassungsgericht in einem Urteil festgestellt, dass Immobilienvermögen bevorzugt werde und daher die Vermögensteuer in der damaligen Form unzulässig sei. Anstatt die Versteuerung von Immobilien zu ändern, hat Helmut Kohl die Vermögensteuer einfach streichen lassen. 33 Jahre später kommt das Thema Steuer auf Immobilienvermögen nun wieder hoch. Warum hat das Verfassungsgericht jetzt nicht gemäß der Logik von 1995 verkündet, dass die Besteuerung von Immobilienvermögen unzulässig ist, wenn anderes Vermögen verschont wird? Thomas Damrau, Böblingen
Sehr inkonsequent
„Führertypen in der Trutzburg“, taz vom 7./8. 4. 18
Der Artikel des Politikwissenschaftlers Helmut Däuble zum Spannungsverhältnis zwischen „autoritärem Nationalismus“ und „aggressivem Kapitalismus“ ist ein sehr gutes Thema und er beginnt vielversprechend – dann aber leider keinerlei deutliche Infragestellung des globalen (Finanz-)Kapitalismus, der doch anfangs klar als (eine) Ursache des Rechtspopulismus gesehen wird; und leider auch keine Vorschläge für eine Reform des Kapitalismus. Das ist inkonsequent und sehr dünn. Denn die am Ende stehenden guten Ratschläge („liberale Demokratien und offene Gesellschaften verteidigen“) sind so leider nur ein zahnloser Tiger, sozusagen Sonntagsrede. Schade. Denn liberale Demokratie und aggressiver Kapitalismus sind letztlich vielleicht doch unvereinbar …!? Rainer Dyckerhoff, Mannheim
Neuer Napoleon
„Frankreichs Regierung räumt Areal“, taz vom 10. 4. 18
Seit dem 9. April zeigt Macron als Vertreter der Staatsmacht/-gewalt, was er unter „Dialog“ versteht: 2.500 militärisch ausgerüstete Einheiten zerstören die „zone à défendre“ in Notre-Dame-des-Landes, wo gegen das Flughafengroßprojekt neue ökologisch-soziale Projekte und Lebensweisen entwickelt worden waren. Es gibt keinen Grund, sich Illusionen zu machen über den neuen/alten Napoleon.
Ruth Jung, Frankfurt am Main
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen