„Die Deutschen haben bei den ‚Illegalen‘ einen sehr guten Ruf“

Die Bereitschaft, Menschen ohne Papieren zu helfen, ist nirgendwo ausgeprägter als in Deutschland, sagt der Bonner Buchautor Siegfried Pater. Dabei sind die deutschen Gesetze europaweit am strengsten: Es ist sogar strafbar, den „Illegalen“ zu helfen. Von ihnen geht es vielen so schlecht, dass sie wieder zurück wollen – aber kaum einer weiß wie

Herr Pater, Sie haben für Ihr Buch „Menschen ohne Papiere“ mit vielen so genannten Illegalen gesprochen. Wo und wie haben Sie die getroffen?

Siegfried Pater: Viele Gesprächspartner wurden mir vermittelt über die Hilfsorganisationen wie Caritas oder AWO, die ja Anlaufstellen für Illegale sind. Ein paar haben sich auch bei mir gemeldet, als sie von dem Buchprojekt gehört haben. Ich bin ja in Bonn einigermaßen bekannt. Einige haben mir am Telefon ihre Geschichte erzählt, andere haben sich mit mir an einem neutralen Ort getroffen – ohne dass wir Namen genannt haben. Und es gab welche, die hatten so viel Vertrauen, dass sie tatsächlich ihre Identität preis gegeben haben.

Gab es auch Menschen, die lieber nicht reden wollten?

Ja. Manchmal haben die Leute im Gespräch gemerkt, dass sie doch nicht erzählen wollen – aus Angst entdeckt zu werden. Und alle haben drauf bestanden, dass ich nicht nur den Namen, sondern auch den Lebenslauf ändere, weil man auch dadurch Rückschlüsse auf die Identität ziehen kann. Zum Beispiel habe ich mit einem Taubstummen geredet, die Geschichte dann aber nicht gebracht, weil das wäre zu auffällig gewesen wäre.

Was haben Ihnen die Menschen erzählt von ihrem Alltag und ihrem Weg in die Illegalität? Gibt es Gemeinsamkeiten?

Alle leben in ständiger Angst entdeckt zu werden, alle sind rechtlos: Wenn ihnen was passiert, können sie nicht zur Polizei gehen. Sie sind sehr vorsichtig, die bravsten Bürger. Sie würden nie über eine rote Ampel gehen. Was die Wege angeht, wie sie hierher kommen, da gibt es viele Geschichten: Es gibt das Au-Pair-Mädchen, das seinen Vertrag bricht, weil es schwanger wird und auszieht, es gibt Studenten, die über einen Austausch kommen und hier bleiben, es gibt Asylbewerber, die abgelehnt wurden und untertauchen.

Ein großes Problem für „Illegale“ ist der Schulbesuch. Laut Gesetz müssen Schulleiter den Behörden Schüler ohne Papiere melden. Passiert so etwas tatsächlich?

Es gibt viele, die sagen: „Ich gehe über die Gesetze hinweg und nehme die Kinder einfach auf.“ Ob Kinderhort, Schule oder Krankenhäuser, Lehrer oder Ärzte: Es gibt zahlreiche Menschen, die sehr hilfsbereit sind, Gesetze hin oder her. Auf der anderen Seite haben die so genannten Illegalen – ich sage lieber Menschen ohne Papiere – ein eigenes Netzwerk und wissen daher auch, welche Schule, welches Krankenhaus für sie in Frage kommt.

Einige „Illegale“ erzählen in Ihrem Buch, dass sie von erpresserischen Arbeitgebern um ihren Lohn betrogen worden sind. Was können sie tun?

Alleine kann man dagegen nicht ankommen. Die einzige Möglichkeit für Betroffene ist, zu einer Hilfsorganisation zu gehen – die kann den Lohn einklagen. Denn zum Glück sagt die deutsche Rechtssprechung, dass auch Schwarzarbeiter und „Illegale“ ein Recht auf Entlohnung haben. Eine solche Klage funktioniert anonym, so dass derjenige wirklich keinen Nachteil davon hat. Nur wissen das viele leider nicht.

Bei den ganzen Schwierigkeiten: Wollen da nicht viele „Illegale“ wieder zurück?

Ja. Leider meinen viele fälschlicherweise, dass sie nicht zurück können, weil man in ihrem Pass sieht, dass sie „illegal“ hier sind. Dabei dürfen sie einfach ausreisen – und wenn man kein Geld für die Rückfahrt hat, dann helfen die Hilfsorganisationen. Aber es gibt eben auch viele, die leben schon lange hier, sind voll integriert, haben Arbeit, Wohnung und all das. Für sie müsste man eine Amnestie machen. Diese Menschen wollen krankenversichert sein und Steuern zahlen. Das würde übrigens auch dem Staat was bringen. In Spanien hat man durch die jüngste Legalisierung monatlich 130 Millionen Euro mehr Steuereinnahmen!

Auch in Frankreich und Italien gibt es immer wieder Amnestien für Papierlose. Warum ist das bei uns nicht möglich?

Ich denke, bei uns herrscht noch eine andere Rechtskultur: Ordnungsrecht geht vor Menschenrecht. Das heißt, die Einhaltung von Gesetzen wird höher gestellt als elementare Menschenrechte. Das Fazit von meinem Buch ist deshalb: In Deutschland helfen die Menschen sehr, sehr gut – in dieser Beziehung haben die Deutschen einen sehr guten Ruf bei den Illegalen – aber die Gesetze bei uns sind die schärfsten. Die sind so streng, dass sogar die Hilfe für Illegale strafbar ist. Das gibt es nirgendwo sonst in Europa.

Und warum ist die Hilfsbereitschaft der Menschen hier so besonders groß?

Ich habe bei den Gesprächen mit Ärzten, Leitern von Kindergärten und Schulen immer wieder erfahren, dass das schlechte Gewissen eine große Rolle spielt. Unsere Vergangenheit mit dem letzten Weltkrieg und der millionenfachen Verfolgung und Ermordung von Juden und anderen motiviert viele, das Bild vom hässlichen Deutschen etwas korrigieren zu wollen. INTERVIEW:
SUSANNE GANNOTT