die woche in berlin
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In der Rigaer Straße eskaliert – mal wieder – der Konflikt zwischen Polizei und Autonomen. Das Drama um die Akten des Amri-Untersuchungsausschusses kocht hoch. Viel zu viele Kinder, die in keine Kita gehen, haben mangelnde Deutschkenntnisse. Und die Haftstrafen für zwei Rumänen, die eine Ziege töteten, werfen Fragen auf

Ein Fall von Klassen-­justiz

Haftstrafen für die beiden Ziegen-„Mörder“

Stellen Sie sich vor, zwei junge Männer deutscher Herkunft klettern aus Jux und Tollerei nachts über den Zaun eines Streichelzoos, töten eine Ziege, schneiden ihr ein Bein ab – und werden erwischt. Einer von ihnen hatte noch nie etwas mit der Polizei zu tun, der andere war kurz vorher bei einem Ladendiebstahl ertappt worden. Das Gericht verurteilt die beiden zu neun (den nicht Vorbestraften) und zehn (den Vorbestraften) Monaten Haft – ohne Bewährung. Sie meinen, das kann doch wohl nicht wahr sein?

Genau so erging es zwei Männern, die am Mittwoch vor einer Richterin am Amtsgericht standen. Mit dem feinen Unterschied: Sie sind Rumänen, keine Deutschen – und sie töteten die Ziege nicht aus Spaß, sondern aus Hunger. Das wurde ihnen zum Verhängnis. Die Richterin erklärte nämlich, Bewährung käme nicht infrage, weil die Männer schon nach kurzer Zeit in Deutschland straffällig geworden seien und zudem in ungesicherten Wohn- und Arbeitsverhältnissen lebten, also Wiederholungsgefahr bestehe. „Ungünstige Sozialprognose“ heißt das auf Amtsdeutsch. Frei übersetzt: Wer aus Not hierherkommt und hier aus Not stiehlt, den trifft die volle Härte des Gesetzes. Vorbei die Zeit, als „Mundraub“ noch milde geahndet wurde.

Das Traurige an dem Fall ist auch, wie unfähig – oder unwillig? – Justiz und mediale Öffentlichkeit sind, sich in die Lebenswirklichkeit von Menschen einzufühlen, die ganz unten auf der sozialen Leiter stehen. Streng durch die bürgerliche Wohlstandsbrille blickend, empörten sich JournalistInnen über „Ziegen-Killer“ (B.Z.), die mit ihrer „Bluttat“ (Bild) den Aufbau einer „kostbaren“ (Tagesspiegel) Angoraziegenzucht durch den „Liebling der Kinder: Lilly (3)“ (Bild) verunmöglicht hätten. Und höhnten: „Tier-Schlächter winseln vor Gericht um Gnade“ (Kurier).

Passend dazu erklärte die Staatsanwältin, sie glaube nicht an das Motiv Hunger, schließlich hätten die Angeklagten ja noch „ein paar Euro“ gehabt und zudem Bier getrunken. Dass viele Menschen überall auf der Welt Hunger – ebenso wie Kummer, zu dem die beiden ja auch allen Grund hatten –, mit Alkohol bekämpfen, scheint die Frau noch nie gehört zu haben.

Den Gipfel des Zynismus erklomm in der Urteilsbegründung die Richterin mit dem Satz: „Wenn ich Appetit auf Schaffleisch habe, gibt es keinen Grund, eine Ziege zu töten.“

Manchen Leuten möchte man aus tiefstem Herzen den Absturz ins Bodenlose wünschen.

Susanne Memarnia

Wer aus Not hierherkommt und hier aus Not stiehlt, den trifft die volle Härte des Gesetzes

Susanne Memarnia über die Haftstrafen für zwei Männer, die eine Ziege töteten, weil sie Hunger hatten

Ein Akten-­drama in fünf Akten

Unterlagen für Amri-Ausschuss verwuschelt

Was sich in den vergangenen Wochen im Parlament in Sachen Amri-Akten abgespielt hat, ist ein Lehrstück in Sachen politischer Kommunikation in fünf Akten. Es begann mit einer für den Sprecher einer Senatsverwaltung erstaunlich offensiven Kritik: Justizsprecher Sebastian Brux twitterte am Karfreitag, original Amri-Akten der Staatsanwaltschaft seien im Büro des Amri-Untersuchungsausschusses des Parlaments „verändert, beschädigt, Aktenordner entleert & umsortiert“ worden. Aufgefallen sei dies, als die Unterlagen zurückgebracht wurden. Nun könne es sein, so Brux, dass Aktenkopien nicht mehr „mit den Originalakten übereinstimmen“. Natürlich machte der Vorwurf schnell in den Medien die Runde.

Zweiter Akt: Kurz darauf nahm der grüne Abgeordnete Benedikt Lux Maß und schoss sich auf den CDU-Vorsitzenden des Ausschusses, ­Burkard Dregger, ein, ebenfalls via Twitter. Der habe „eigenmächtig die wichtigen Akten der Staatsanwaltschaft auseinander“gerissen und der Aufklärung einen „­Bärendienst“ erwiesen.

Die CDU reagierte weniger zerknirscht als empört: Im dritten Akt gab sie am Dienstag Fehler zu, denn tatsächlich seien Akten umsortiert worden. Allerdings habe das mitnichten Dregger selbst getan. Im nächsten Aufzug am Mittwoch forderte die CDU-Fraktion deswegen eine Entschuldigung von Lux – und die Entlassung von Brux.

Im Finale des Schauspiels appellierte Parlamentspräsident Ralf Wieland am Donnerstag „an alle Beteiligten, zügig zu einer sachlichen Debatte zurückzukehren“. Zwar sei der Umgang mit den Akten im Ausschussbüro „teilweise nicht sachgerecht erfolgt“; dennoch wären weder Inhalt noch Reihenfolge verändert worden, auch seien alle Unterlagen vollständig. Und: Dregger seien „keinerlei persönliche Vorwürfe zu machen“. Ein Patt also, irgendwie.

Und erstaunlich, dass die Verantwortung für das unsachgemäße Vorgehen im Ausschussbüro keine Rolle mehr zu spielen scheint und im Nebel des Schlachtgetöses verschwunden ist. Grund dafür ist ausgerechnet der Frontalangriff des Grünen Lux, der im Eifer des Gefechts vielleicht gut gemeint war, aber zu brutal den Falschen traf. Ausschusschef Dregger konnte sich in seiner Verteidigung auf die massiven – aber, wie sich schnell herausstellte nichtigen – Vorwürfe gegen ihn konzentrieren; der unprofes­sio­nelle Vorgang der Büromitarbeiter seines Ausschusses wurde zur Nebensache.

Am Ende gehen nun alle irgendwie beschädigt in die nächste Sitzung. Schon seltsam.

Bert Schulz

Wirklichkeit schlägt Anspruch

Eltern ignorieren Pflicht zur Sprachförderung

Es war bestimmt ehrlich gemeint, als Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) vor über vier Jahren die neu ins Gesetz geschriebenen Bußgelder für säumige Eltern damit begründete, dass sie es nicht akzeptieren werde, wenn man Kindern Bildungschancen vorenthalte. Gemeint war die Teilnahme an der verpflichtenden Sprachförderung in einer Kita, die gesetzliche Pflicht für Kinder ist, die bei einem Test 18 Monate vor Schulstart mangelhafte Leistungen zeigen und bisher keine Kita besuchen.

Es reicht aber nicht, es ehrlich und gut zu meinen und Eltern, die das alles ignorieren, per Gesetz bis zu 2.500 Euro Strafe anzudrohen – man muss es auch durchsetzen. Was aber offenbar kaum passiert, wie sich am Donnerstag herausstellte. Senatorin Scheeres hat es in den vergangenen Jahren versäumt, parallel zur hehren Ankündigung ein ganz schnödes Mahn- und Strafverfahren für jene Fälle zu organisieren, in denen Kinder, die dringend Sprachförderung brauchen, nicht in der Kita auftauchen. Nun wieder mal auf die Zuständigkeit der Bezirke zu verweisen ist zu schlicht – das Spannungsfeld zwischen Landes- und Bezirksebene ist jahrzehntealt und bekannt.

Es ist wie so oft in Berlin auch hier der Fall, dass es nicht an Erkenntnis, sondern an der praktischen Umsetzung mangelt. Wenn beispielsweise die Polizei ab Montag das Verhalten von Autofahrer nicht intensiv ahndet, sollten diese das ab dann geltende Tempo-30-Limit igno­rieren, dann wird es nichts mit der angestrebten Minderung der Stickoxidemission.

Wer tatsächlich etwas ändern will, muss sich mit denen zusammensetzen, die das letztlich durchsetzen sollen, und ihnen helfen, wenn sie es aus vielfältigen Gründen nicht können oder wollen. Schlimm genug, wenn das ewige Gezänk zwischen Senatsverwaltungen und Bezirken zu Verzögerungen beim Wohnungsbau führt. Noch schlimmer aber ist es, wenn beide zusammen es nicht hinbekommen, Kindern zu ihrem Recht auf Bildung zu verhelfen – notfalls gegen den Willen ihrer Eltern. Stefan Alberti

Vorbereiten auf den Showdown

Eskalierender Konflikt in der Rigaer Straße

Da ist er wieder, der Konflikt um die Rigaer Straße. Der trügerische Schein der Ruhe, der sich in den vergangenen Monaten über die Straße gelegt hatte, ist verschwunden. Stattdessen fliegen wieder Steine, Polizisten marschieren in Besatzungsstärke auf, es kommt zu Festnahmen und Racheaktionen von links wie dem Veröffentlichen von Porträtbildern eingesetzter Beamter. Und als wäre das nicht schon genug, steht am 14. Mai der nächste Gerichtstermin an, bei dem es um die Zukunft der Autonomenkneipe Kadterschmiede in der Rigaer Straße 94 gehen wird.

Die anonyme Eigentümerin des Hauses – durch einen neuen Strohmann-Geschäftsführer ihrer Briefkastenfirma wieder prozessfähig – versucht zum wiederholten Male, einen Räumungstitel einzuklagen. Läuft alles normal, wird das diesmal gelingen. Das wissen auch die Linken. Für die fürs Wochenende zuvor ausgerufenen „Diskussions- und Chaostage“ in der Rigaer Straße lässt das mehr Chaos als Diskussion erwarten. Ganz zu schweigen von den zu erwartenden Konflikten, wenn es dann zu einer polizeilichen Räumung kommen sollte.

Schon jetzt haben sich beide Seiten für den Showdown in Stellung gebracht. Anfang der Woche wurden Polizeiwagen von einem Hausdach mit 30 Pflastersteinen beworfen, mindestens der dritte Vorfall dieser Art in den vergangenen drei Wochen.

Die Polizei dagegen setzt auf Stärke. Nach einigen Monaten, in denen sie im Kiez nur wenig präsent war, ist sie seit Mitte März wieder im Großeinsatz. AnwohnerInnen werden dauerkontrolliert, BewohnerInnen auf der Hunderunde verfolgt, der Helikopter kreist regelmäßig – und an der Kreuzung Rigaer Straße/Liebigstraße wurde ein Flutlicht installiert. Die Festnahme eines Hausbewohners mit 350 Beamten Ende März wegen eines Körperverletzungsdelikts war in dieser Hinsicht ein Höhepunkt der Machtdemonstration.

Beide Seiten haben seit der letzten Eskalationswelle 2016 anscheinend nichts dazugelernt. Für die kommenden Wochen bedeutet das nichts Gutes. Erik Peter