Dicke Eier gegen Totenstarre

Harte Kämpfe bei den deutschen Juggermeisterschaften. Eine Wahrheit-Reportage

Die Pokale werden im Eigenbau zusammengeschweißt, Metall, Ketten … alles ist groovy

Sie zu finden war nicht leicht. Irgendwann hatte ich „Makro“ am Handy, der mir verriet, wo die Deutsche Meisterschaft der Jugger ausgetragen wird. Jetzt bin ich am Austragungsort und erfahre, warum sie so heimlich tun. Sie wollen einfach nicht wieder von Berliner Ordnungshütern mit dem fadenscheinigen Vorwurf abkassiert werden, eine „kommerzielle Sportveranstaltung“ nicht angemeldet zu haben, unter Verweis auf die paar Cents, die jeder in die Gemeinschaftskasse fürs Wasser bezahlt.

In dem australischen Spielfilm „Die Jugger. Kampf der Besten“ von 1989 wird ein Endzeitvergnügen geschildert, das darin besteht, zwei martialisch gepanzerten Teams zuzusehen, die mit Eisenstangen und Morgensternen auf Leben und Tod um einen Hundeschädel kämpfen. Unabhängig voneinander kamen Endzeitfilmfans aus Hamburg und Berlin in den Neunzigerjahren auf die Idee, das „Juggen“ mit allerdings glücklicherweise schaumstoffummantelten Sportgeräten, den „Pompfen“, als Mischung aus Nahkampfsport und Show nachzuspielen. Die Bild-Zeitung faselte daraufhin von gutverdienenden Juppies, die nichts Besseres zu tun hätten, aber das ist Quatsch, denn die Jugger kommen aus allen „Schichten“, Punks sind ebenso dabei wie Mediendesigner. Seit 1995 gibt es Turniere in Hamburg, seit 1998 in Berlin. Man kostümiert sich dem Spiel entsprechend, die Pokale werden im Eigenbau zusammengeschweißt, Metall, Ketten … alles ist groovy.

Ich stehe neben Makro, der so heißt, wie er aussieht, und stelle mir vor, er würde mit einer Eisenstange auf mich losgehen oder mit einer schweren Kugel an einer Kette, die er über den Kopf schwingt. Sechs Jahre war er als Jugger aktiv, jetzt machen die Knochen nicht mehr mit. Seltsamerweise sind es aber ganz normale Sportverletzungen, die man beim „Pompfen“ und „Gepompftwerden“ davonträgt, etwa wenn man mit dem Fuß umknickt. „Wie lange soll das Gewurstel gehen?“, schreit einer aus dem zahlreichen versammelten Publikum. „Beiß ihm das Ohr ab!“, kräht ein anderer. Die streitbare Läuferin vom Team „Trainingsrückstand“ reißt einen Gegner am T-Shirt. „Esther, loslassen!“, ruft ein Teamkollege. Sie wird beruhigt, lächelt gleich wieder sarkastisch.

Nach der Ansage „Noch 45 Steine, 3 – 2 – 1, Jugger!“ rennen gerade wieder zwei fünfköpfige Mannschaften aufeinander zu: je ein Läufer (Quick), ein Kettenmann und drei Kämpfer (Pompfer). Der Läufer trägt keine Pompfe und darf als Einziger den Jugg in die Hand nehmen. Der Kettenmann von „Trainingsrückstand“ aus Berlin stößt einen irritierenden Schrei aus, wenn er seine Kontrahenten mit der rotierenden Kugel wegfegt. „Kette ist durch“, brüllt’s vom Gegner – der Kettenschwinger hat die gegnerische Linie durchdrungen und droht abzuräumen. Wer von den bis zu zwei Meter langen „Langpompfen“ getroffen wird, muss fünf Steine aussetzen. Wen die drei Meter lange „Kette“ erwischt, bestehend aus einem Schaumstoffball an einer Plastikkette mit Handschlaufe, muss gar acht Steine aussetzen.

Die Zeit hat eine wichtige Bedeutung. Sie wird, da es in der Endzeit keine funktionierenden Uhren mehr gibt, in „Steinen“ gemessen, die im Film im Ein-bis-zwei-Sekunden-Rhythmus auf einen Gong treffen. In der Jetztzeit bedeutet ein Trommelschlag einen Stein. Während der Meisterschaft wurde die Spiellänge auf zweimal 80 Steine reduziert, damit man bei acht Mannschaften in zwei Tagen fertig wird.

Doch selbst wenn ich die Regeln schon völlig kapiert hätte – dem Spielgeschehen zu folgen ist nur mit langem Training möglich. Die Augen der Zuschauer und des Schiedsrichters springen wie Flummis im Dreieck. Der Läufer der „Living Undeads“, eine spindeldürre Figur in gruftig gebückter Haltung, die weiße Haut vom Schwarz der zerschlissenen kurzen Robe hervorgehoben, hat ebenfalls kurz den Überblick verloren, so dass ihm die gegnerische Läuferin den Gummi-Hundeschädel hinterm Rücken wegschnappen, ungehindert an allen noch zu Boden gepompften Gegnern vorbeiziehen und den Jugg im gegnerischen „Mal“, das wie ein kleiner Vulkan aussieht, versenken kann. Darum geht’s im Wesentlichen.

Nach undramatischen Halbfinalbegegnungen und einem sehr schönen Spiel um Platz drei stehen sich Titelverteidiger „Gorditos Cojones“ (früher „Sackwut“, heute „Dicke Eier“) aus Hamburg und Gastgeber „Rigor Mortis“, Berlin, gegenüber. Nach gewohntem Endspielverlauf wird es für die Hamburger Fans plötzlich kribbelig. Die Berliner liegen bereits sehr weit vorn. Die „Dicken Eier“ machen in der wütenden Aufholjagd ihrem Namen alle Ehre, sie spielen übrigens sehr dekorativ in Kilts. „15 zu 11, 15 zu 12 …“ – die Spannung ist an den Publikumsschreien ablesbar. „Nicht nachlassen!“, rufen die Berliner ihren Stars zu, „Lasst nach!“, kontert ein Hamburger an die gleiche Adresse. Bloß wenige Steine noch zu spielen. Jetzt ist es beim besten Willen nicht mehr zu retten.

Eine achtjährige verdiente Siegesära geht zu Ende, als der letzte Stein getrommelt wird. Die Berliner haben es geschafft: „Rigor Mortis“ ist Sieger der achten deutschen Juggermeisterschaften. Die Hamburger rüsten sich für das Besäufnis. Den „Gorditos Cojones“ gilt meine Sympathie, ich muss es zugeben, nicht nur wegen des Namens. Verflucht, ich bin angefixt von diesem „Juggen“. TOM WOLF