speichenbruch
: Fahndung nach Deep Throat

Die Radsportwelt sucht nach der Dechiffrierquelle von „L’Equipe“. Auch der Name von Sylvia Schenk wird dabei genannt

Die Sache gleicht der Jagd nach dem Phantom – und es geht dabei um nichts weniger, als jene Person oder Institution aufzustöbern, die die ebenso anonymisierten wie positiven Urinproben dem Namen Lance Armstrong zugeordnet – und den siebenfachen Tour-de-France-Sieger damit als Betrüger entlarvt hat. Fest steht: Die Sportzeitung L’Equipe hatte den Skandal der nachträglich untersuchten und prompt kontaminierten Dopingproben des Texaners von 1999 vor 14 Tagen veröffentlicht, bis heute aber lodert die Frage: Wer hat dem Blatt jene Unterlagen zugespielt, dank deren aus einer Nummer der Name wurde? Wer also ist der „Deep Throat“ des Radsports?

Das Prozedere der Kontrollen ist dabei einigermaßen nachvollziehbar: Bei der Probenahme wurde ein Protokoll in vierfacher Ausfertigung erstellt. Nummer vier ging an das französische Sportministerium, das die Unterlagen mittlerweile vernichtet haben will. Protokoll Nummer drei wurde dem französischen Radsportverband ausgehändigt. Da L’Equipe, das war auf der veröffentlichten Kopie zu erkennen, Probeprotokolle mit der Nummer eins vorliegen, kommen Ministerium sowie nationaler Verband als Quelle eher nicht in Betracht. Bleiben übrig: der kontrollierte Sportler selbst sowie der Internationale Radsportverband UCI, denen das Papier ebenfalls übergeben wurde. Da man davon ausgehen kann, dass Armstrong sich nicht selbst an den Pranger gestellt hat, deutet nun vieles auf die UCI als jenen Ort hin, von dem aus die Indiskretion nach außen drang. Das ist zwar zunächst einmal nur ein Verdacht, immerhin aber ein gut begründeter. Und einer, der eine ganze Menge Sprengstoff birgt, schon weil der UCI am 23. September Präsidentenwahlen ins Haus stehen. Wie leicht könnte da mit dem Fall Armstrong Stimmung gemacht werden, zumal Amtsinhaber Hein Verbruggen, ein Sportfunktionär der alten Schule, als Freund des Texaners gilt. Prompt wettert Antoine Vayer, der beim Doping-Radstall Festina einstmals Trainer der Dopingradler Richard Virenque und Alex Zülle war, in der französischen Zeitung L’Express: „Das ist ein gezieltes Manöver gegen Präsident Verbruggen.“ Noch explosiver ist freilich, wen er als Initiatorin des Störfeuers verantwortlich macht, nämlich: Sylvia Schenk, die ehemalige Präsidentin des Bundes Deutscher Rad-Fahrer (BDR). Demnach hält Vayer die Frankfurterin, die immer noch einen Sitz im Direktionskomitee der UCI hält, für die Dechiffrierquelle von L’Equipe.

In der Tat hat Schenk zuletzt äußerst massiv gegen die unlauteren Machenschaften Verbruggens aufbegehrt, insbesondere gegen die Art und Weise, wie der 64-jährige Holländer, der sich nicht mehr zur Wahl stellen will, seinen Wunschnachfolger, den ihm ergebenen Iren Pat McQuaid, ins Amt zu hieven gedenkt. Aber all diese, im Übrigen berechtigte Kritik trug Sylvia Schenk offen vor; ein stichhaltiger Hinweis, dass sie sich deswegen auch als Maulwurf betätigt hat, ist solcherlei nicht. Genauso gut könnte man jedenfalls auf die Idee kommen, Verbruggen, der angestrengt nach dem Leck fahndet, habe Schenk ins Spiel bringen lassen, um so seine ärgste Kritikerin in Verruf zu bringen. Fest steht: Die Jagd nach dem Phantom ist noch nicht zu Ende.

FRANK KETTERER