Exilsuche am Golf

American Pie: Das Footballteam der New Orleans Saints hat seine Heimspielstätte, den Superdome, verloren. Die Mannschaft muss ausweichen – womöglich verlässt sie die zerstörte Stadt ganz

VON THOMAS WINKLER

Lädiert steht er da, Löcher im Dach, Leichen liegen in den Zuschauerreihen, ein unerträglicher Gestank durchzieht die Katakomben. Der Louisiana Superdome von New Orleans ist zum Symbol geworden für das Versagen der Supermacht im Angesicht der Katastrophe, zudem ein Symbol dafür, dass auch die stolzesten Exponate menschlicher Ingenieurskunst kein Hindernis darstellen für eine entfesselte Natur.

Nur mehr schwerlich vorstellbar mag es heute sein, aber vor wenigen Wochen noch war der Superdome eine ganz normale Sportstätte, die bereit stand für die neue Saison des dort beheimateten Football-Teams. Neun Tage und einen Hurrikan später ist die Zukunft der einstmals größten Kuppelkonstruktion der Welt ungewiss und die New Orleans Saints sind auf der Suche nach einer neuen Heimstatt.

Seit Montag steht nun fest, dass die Saints die nächsten vier Monate vom texanischen San Antonio aus ihre Geschäfte führen und auch dort trainieren werden. Auch dass sie am kommenden Sonntag die Saison mit einem Auswärtsspiel bei den Carolina Panthers beginnen werden. Das als Heimpremiere vorgesehene Spiel in der kommenden Woche gegen die New York Giants wurde bereits ins Giants Stadium in New Jersey verlegt. Doch wo die restlichen sieben Heimspiele der Saints stattfinden werden, ist noch vollkommen unklar. Nur eins steht fest: Sicherlich nicht im Superdome.

Zur Auswahl stehen bislang der Alamodome in San Antonio, das allerdings fast 900 Kilometer entfernt liegt von New Orleans, und das Tiger Stadium der Louisiana State University im von „Katrina“ weitgehend verschont gebliebenen Baton Rouge. Das Uni-Stadion fasst 92.000 Fans, aber es wird momentan renoviert und es gibt Bedenken, ob der Rasen ein samstägliches College-Spiel plus eine Profi-Begegnung am Sonntag verkraftet. Trotzdem plädieren Headcoach Jim Haslett, Starspieler Joe Horn und Manager Mickey Loomis für die näher liegende Lösung, „weil wir es den Fans in New Orleans, am Golf, den Menschen in Baton Rouge und hinauf bis Lafayette schuldig sind“, so Haslett. Eine dritte Möglichkeit, die diskutiert wird, wäre, alle Heimspiele in den Stadien der Gegner auszutragen.

Nun gibt es bereits Gerüchte, dass Tom Benson, der Besitzer der Saints, die Gelegenheit nutzen und seine Franchise dauerhaft nach San Antonio umziehen lassen will. Benson hat Geschäftskontakte in der Stadt, betrieb dort, im traditionell Football-verrückten Texas, bis vor kurzem Autohäuser. Dort dürften garantiert zahlungskräftigere Zuschauer und Sponsoren warten, mehr als in einem New Orleans, das auf Jahre hinaus die Nachwirkungen der Katastrophe zu verdauen hätte. Auch ein Umzug nach Los Angeles wird diskutiert, schließlich versucht die NFL schon seit Jahren endlich wieder ein Team anzusiedeln im zuletzt von Football verlassenen, aber zweitgrößten TV-Markt der USA. Die Saints selbst versuchten bei einer Pressekonferenz am Sonntag diese Gerüchte zu zerstreuen: „Auch wenn wir hier in San Antonio trainieren und auch wenn wir noch keinen Ort für unsere Heimspiele gefunden haben“, sagte Loomis, „sind wir noch die New Orleans Saints und unser Verpflichtung der Stadt gegenüber ist stärker als je zuvor.“ Derweil schickte er seine Spieler zwischen den Trainingseinheiten los, den nach San Antonio geflüchteten und im Astrodome untergebrachten Hurrikan-Opfern die Hände zu schütteln. „Eins unserer Ziele ist es“, so Loomis, „eine führende Rolle zu spielen bei der Wiederbelebung von New Orleans.“

Vergeblicher Vorschlag

Trotz solcher Beteuerungen kann aber davon ausgegangen werden, dass schlussendlich doch die Lösung umgesetzt wird, die den größten Profit verspricht. Auch deshalb ist wohl der Vorschlag des renommierten Footballexperten Michael Silver chancenlos, die Super Bowl dauerhaft nach New Orleans zu vergeben. Nicht nur, so die Argumentation des Kolumnisten von Sports Illustrated, würde der Umsatz, den das Endspiel der NFL alljährlich generiert, beim Wiederaufbau der Stadt am Mississippi helfen, in der heimlichen Party-Hauptstadt der USA wäre das weltweit größte Sportereignis auch besonders gut aufgehoben. Silvers Idee wird aber wohl daran scheitern, dass ihr alle Teambesitzer zustimmen müssten und die meisten von denen hoffen, demnächst selbst einmal eines der lukrativen Endspiele für ihre Stadt an Land ziehen zu können. Außerdem versucht die NFL schon traditionell mit der Aussicht auf Super Bowls Kommunen davon zu überzeugen, mit öffentlichen Geldern neue Stadien zu finanzieren, die mit Luxuslogen und Parkbewirtschaftung größere Umsätze versprechen.

Aber ob mit oder ohne Super Bowl – wenn die Saints in New Orleans bleiben, bräuchte die Stadt aller Voraussicht nach ein neues Stadion. Schon vor „Katrina“ war der 1975 fertig gestellte Superdome zwar nicht veraltet, aber doch angestaubt, vor allem der Kunstrasen galt als nicht mehr zeitgemäß. Nun scheint der Dome gar nicht mehr bespielbar, nicht nur wegen der Hurrikan-Schäden, sondern auch wegen der fürchterlichen Szenen, die sich dort abgespielt haben. So plädieren nun viele für den Abriss des 70.000 Zuschauer fassenden Monstrums, nur wenige für seine Instandsetzung. Am unwahrscheinlichsten scheint heute die Möglichkeit, dass der Dome stehen bleibt als Mahnmal der Katastrophe, als eine amerikanische Gedächtniskirche.