BETTINA GAUS über FERNSEHEN
: Zwischen Mut und Mutwilligkeit

Der Hurrikan „Katrina“ hat wieder viel Anschauungsmaterial geliefert – zum Thema: „Ethik in der Berichterstattung“

Bei manchen Gelegenheiten ist einem der eigene Beruf ziemlich peinlich. Der Tag, an dem der Hurrikan „Katrina“ über die Golfküste der USA fegte, war eine solche Gelegenheit. Auf (fast) allen Kanälen waren Bilder von Journalisten zu sehen, die sich über Stunden hinweg einer völlig absurden Tätigkeit hingaben, um darüber dann zu berichten.

Die Reporter stellten sich bei sehr schlechtem Wetter ins Freie und teilten den Zuschauern mit, dass das Wetter sehr schlecht war. Dass sie die Wahrheit sagten, war leicht zu erkennen. Allerdings war infolge des starken Regens das sehr schlechte Wetter fast das Einzige, was auf dem Bildschirm zu erkennen war.

Außerdem sagten die Reporter noch, dass ein starker Wind wehte, ein ganz unglaublich starker Wind sogar, und dass sie sehr aufpassen müssten, nicht von herumfliegenden Gegenständen getroffen zu werden. Da sie sich immer mal wieder duckten und offenbar Mühe hatten, aufrecht zu stehen, konnte man ihnen das durchaus glauben.

Aber man hätte es ihnen ohnehin geglaubt. Es ist nämlich keine Nachricht, dass bei einem Hurrikan ein starker Wind weht. Sonnenschein wäre eine Nachricht gewesen. Der Informationsgehalt der Reportagen tendierte gegen null, der Unterhaltungswert hingegen war hoch. Denn spannend waren die Berichte schon: Würden die tapferen Korrespondenten überleben? Dabei sein zu dürfen, wenn jemand sein Leben riskiert und dabei gemütlich im Wohnzimmer zu sitzen – das hat was.

Der mögliche Tod vor laufender Kamera wird dem Publikum immer häufiger geboten. Das kanadische Fernsehen sendete live die Bilder vom brennenden Airbus der Air France, der in Toronto über die Landebahn hinausgeschossen war. BBC und CNN – und weiß Gott wer sonst noch – übernahmen das Programm. Kommentiert wurden die Aufnahmen eigentlich nur mit der mehrfach wiederholten Behauptung, es sei praktisch unmöglich, dass aus diesem Flugzeug noch jemand lebend herausgekommen sei.

Das war, wie wir inzwischen wissen, ein Irrtum. Alle 309 Insassen der Unglücksmaschine haben überlebt. Unbekannt ist, wie viele ihrer Freunde und Verwandten zufällig den Fernseher eingeschaltet haben und verzweifelten ob des vermeintlichen Todes der Enkelin, des Schwiegersohnes, des Vaters, die sie an Bord vermuteten.

Was ist aus der guten alten Regel geworden, der zufolge von einem Todesfall zuerst die nächsten Angehörigen informiert werden müssen? Möglichst sogar noch schonend? Im Zeitalter der Satellitenübertragung ein alter Hut. Wenn das Fernsehen tolle Bilder hat, dann kann man auf solche Empfindlichkeiten keine Rücksicht nehmen.

Kann man nicht? Könnte man sehr wohl.

Aber dafür müssten Maßstäbe entwickelt werden, die neue technische Möglichkeiten mit beruflichem Ethos in Einklang brächten. Uns sind die Maßstäbe verloren gegangen. Aber ist nicht schon allein eine solche Anregung weltfremd? Nein, ist sie nicht. Wie ein CNN-Reporter vor einigen Tagen bewiesen hat: Er teilte mit, dass er große Teile seines in New Orleans gedrehten Materials nicht zeigen werde, weil er es nicht für geeignet hielt. Aber aufbewahren werde er die Bilder. Damit später niemand behaupten könne, all das habe es nie gegeben.

Manchmal ist es nötig, dass Journalisten sich in Gefahr bringen. Wäre es in den letzten Tagen nicht zahlreichen Reportern gelungen, wozu die US-Armee lange nicht imstande war – nämlich sich zu den gestrandeten Hurrikan-Opfern durchzuschlagen – dann wäre die Gleichgültigkeit der Bush-Regierung gegenüber der Not ihrer Landsleute der Welt verborgen geblieben.

„Katrina“ hat viel Anschauungsmaterial geliefert. Auch für den Unterschied zwischen Sensationsjournalismus und seriöser, mutiger Berichterstattung.

Fragen zur Pietät? kolumne@taz.de Morgen: Martin Reichert über LANDMÄNNER