Neid ist nicht gut fürs Karma

Ähnliche Motive, ähnliche Narrative: Fast alle Religionen werten Neid als eine Last, eine Sünde. Der Hinduismus reflektiert Neid etwas anders. Besuch in einem Tempel

Berlins Hindugemeinde befindet sich im Norden der Stadt, im Bezirk Reinickendorf, zehn Minuten Fußweg von der nächsten U-Bahn-Station. Ein Tempel, der von außen nicht als solcher zu erkennen ist. Dazu ein Hinterhof mit einem großen Garten und eine Hütte, in der jemand zu leben scheint. Ein starker Weihrauchgeruch liegt in der Luft.

Im Tempel ist es halbdunkel, er ist spärlich möbliert. Bodo Wilbert ist Hinduist, er ist heute zu Besuch in der Mission, weil der Guru zu Besuch ist. Meist lebt er auf den Kanarischen Inseln. Wie erklärt er Neid? Wilbert erzählt, dass man mit seinen Taten positive wie negative Karma-Punkte sammeln kann. Mit den Konsequenzen seiner Handlungen wird der Mensch dann später zwangsläufig konfrontiert.

Wenn man positive Karma-Punkte gesammelt hat, zum Beispiel durch gute Taten, Yoga, Dankbarkeit, erreicht der Gläubige ein höheres spirituelles Niveau – als Belohnung in diesem oder einem anderen Leben. Insofern, sagt Wilbert, sei Neid irrelevant. Nach dem Motto: Tue was Gutes, damit du was Gutes zurückbekommst! Missgunst gehört nicht dazu. Übrigens lasse sich der Neid nie komplett abschütteln. „Da er in uns ist, können wir ihn nur klein machen, indem wir uns spirituell reinigen.“

Derzeit ist Paramadyaiti Swami zu Besuch. Vier junge Menschen kauern dem Meister in seinem orangen Gewand gegenüber, auf dem Boden der Hinterhofhütte. Paramadyaiti Swami begrüßt den Gast herzlich und beginnt mit missionarischem Eifer zu erzählen: „Wir müssen den Neid als Grundlage unseres Leidens anerkennen. Er ist einer der Gründe, warum wir auf der Welt sind. Wir Menschen neideten Gott seine Freiheiten.“

Der Guru spricht intensiv, überzeugend, er führt aus, dass man sich von diesem Gefühl zwar distanzieren könne, indem man ein höheres Niveau auf der spirituellen Ebene anstrebe. „Aber der Neid bleibt in uns“, sagt er, „auch wenn er kleiner wird.“

Ist der Neid denn kein Thema in Bezug auf die soziale Gerechtigkeit? Wo verortet er das Neidempfinden innerhalb des Kastensystems?

Auf die Frage kommt eine Gegenfrage. Bist du ein Zahnarzt?“ – „Nein.“

Bist du neidisch darauf, dass es einen Zahnarzt gibt? – „Nein.“

Könntest du lernen, Zahnarzt zu werden? – „Ja.“

Der Guru hat seine Antwort. Er guckt Bodo Wilbert, der neben ihm sitzt und genau zuhört. „Genau so ist das Kastensystem. Es gibt verschiedene Abstufungen, abhängig von den Fähigkeiten, die man besitzt.“ Natürlich sei man in gewisser Weise von seiner Herkunft geprägt, aber das Ursystem sei allen freundlich gesinnt. „Wenn nicht“, sagt der Guru, „dann ist es kein Hinduismus.“

Auch sein Glaube unterscheidet zwischen konstruktivem und destruktiven Neid. Wenn sich jemand auf legitime Art und Weise um etwas bemüht, das jemand anderem gehört, so ist das Wettbewerb – kein Neid.

Das kommt einem doch bekannt vor. Deniz Demirtas