Gute Chancen für Rot-Grün in Norwegen

Bei den Parlamentswahlen in der kommenden Woche könnte es in Oslo zu einem Regierungswechsel kommen. Jüngste Umfragen sehen die Sozialdemokraten vorn. Die sind jetzt auch erstmals dazu bereit, sich auf eine Koalition einzulassen

VON REINHARD WOLFF

Sechs Tage vor Deutschland wählt Norwegen am kommenden Montag sein Parlament. Die Vorzeichen sind denen in Berlin entgegengesetzt. Mit Kjell Magne Bondevik war in Oslo in den letzten vier Jahren ein christdemokratischer Ministerpräsident am Ruder. Dem gelang es zwar, mit einer Minderheitsregierung über eine ganze Legislaturperiode zu kommen – was in Norwegen seit Kriegsende kein Regierungschef schaffte. Doch nun darf sich eine in den Umfragen mit 90 der 169 Parlamentsmandate führende rot-grüne Alternative zur Regierungsübernahme bereit machen.

Zentrales Wahlkampfthema war, ob die gut gefüllte Staatskasse für eine Senkung der Steuerbelastung – so die jetzige Regierung – oder für einen Ausbau des öffentlichen Sektors verwendet werden sollte. Letzteres scheint eine Mehrheit der NorwegerInnen vorzuziehen – zum Wohle der Sozialdemokraten, die sich von ihrem Kurzzeitflirt mit „New Labour“ verabschiedet haben. Dieser Kurs hatte der Partei mit ihrer links-traditionell verankerten WählerInnenschaft vor vier Jahren eine vernichtende Niederlage eingebracht und damals den Weg für Bondeviks Minderheitsregierung erst frei gemacht.

Nun steht eine Verteidigung des breiten öffentlichen Sektors des Landes wieder ganz oben auf dem Programm. Alle Privatisierungsforderungen sind in den Schubladen verschwunden. Und um die Reform ihres Sozialsystems müssen sich die NorwegerInnen dank der reichlich fließenden Ölgelder bis auf weiteres sowieso keine Sorgen machen.

Das vom Parteivorsitzenden und Ministerpräsidentenkandidaten Jens Stoltenberg ausgegebene Motto der Sozis lautet: „Neue Solidarität“. Diese soll mit „neuen Mehrheiten“ erreicht werden. Nachdem sich die Sozialdemokraten beharrlich geweigert hatten, sich auf Koalitionen einzulassen, sind sie erstmals seit einer Sammlungsregierung zu Kriegszeiten bereit, die Macht zu teilen. Aus eigener Kraft würde die Partei, die laut Umfragen nicht allzu weit jenseits der 30-Prozent-Marke landen dürfte, einen Regierungswechsel aber auch gar nicht schaffen.

Zweitstärkste Kraft in der angepeilten Koalition ist die rot-grüne Linkspartei. Die Sozialistische Volkspartei – 1975 in Linkspartei umbenannt – hatte sich 1961 vor allem aufgrund deren USA-freundlichen außenpolitischen Kurses von der Arbeiterpartei abgespalten. Nach Jahrzehnten erstmals koalitionsfähig wurde sie für die Sozialdemokraten, seit sie ihre Forderung nach einem Nato-Austritt aus dem Parteiprogramm gestrichen hat. Zwar lehnt die Linkspartei anders als die Arbeiterpartei eine EU-Mitgliedschaft Norwegens ab. Doch dürfte eine neue EU-Volksabstimmung auch in der kommenden Legislaturperiode vermutlich sowieso nicht auf der Tagesordnung stehen und damit auch nicht für Koalitionssprengstoff sorgen. Zwischen 15 und 19 Prozent pendeln die Sympathiewerte für die Linkspartei in Umfragen.

Dritter – und mit voraussichtlich 5 bis 7 Prozent Kleinster – im Bund soll die Zentrumspartei werden. Die ursprünglich bäuerliche Partei hat sich aus der Mitte nach links bewegt und ist angesichts des Fehlens eigentlicher „Grüner“ in Norwegen die Partei, die am ehesten für grünes Gedankengut eintritt. Auf sie und die Linkspartei setzen vor allem UmweltschützerInnen bei den für sie heißesten Themen: der von den Ölkonzernen geforderten Öffnung der Meeresgewässer bei den Lofoten und im Barentsmeer für die Ölförderung und dem von ihnen abgelehnten Bau neuer Gaskraftwerke. Hier mit der stark unter gewerkschaftlichem Einfluss stehenden Arbeiterpartei einig zu werden, dürfte der Knackpunkt einer rot-grünen Koalition werden.