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Uli Hannemann Liebling der MassenDer gute Ton

Wegen eines Urlaubs inseriere ich meine Wohnung in diversen kleineren Verteilern zur Untermiete. Airbnb ist mir zu unheimlich. Mein Vorurteil sagt, dass es dort von verantwortungslosen Irren nur so wimmelt. Das ist sicher falsch, aber ich finde es seltsam genug, meine Wohnung Fremden herzuzeigen. Ich glaube, ich hätte weniger Hemmungen, meinen nackten Arsch zu posten. Der ist wenigstens sauber.

Apropos sauber. Ich habe sogar neue Fotos gemacht. Die ersten waren zu dunkel, das Bett im Schlafzimmer ungemacht, überall Spinnweben, im Wohnzimmer lag mit dem Bauch nach oben eine tote Ratte unter einer verdorrten Yucca-Palme. Ich mochte die Idee, dass die Wohnung in Wirklichkeit besser aussieht als auf den Bildern. Dann ist am Ende die Enttäuschung nicht so groß. Dachte ich. Bis es Absagen hagelte.

Per Mail trudeln nun die nächsten Bewerbungen ein. Je ein kurzer Satz. Meist auf Englisch und unter Verzicht auf jede höfliche, geschweige denn verbindliche Floskel. Die Modefrau. Der Banker. Das Arschloch. Egal, ob ich ihnen Bilder schicke oder nicht, wir Telefonate vereinbaren oder nicht, ich nochmals nachfrage oder nicht – sobald auf der anderen Seite das Interesse erlischt, setzt sofort völlige Funkstille ein.

Jetzt würde ich ja gern so ein kulturpessimistisches Lamento anstimmen à la „die jungen Leute haben alle keine Kinderstube“ oder „heutzutage wird jeder fremde Mensch nur noch auf seine Verwertbarkeit abgeklopft, und sobald die nicht (mehr) gegeben ist, ist er nicht mal mehr einen Absage-Einzeiler wert“. Doch auch die netten, die es anders machen, sind jung. Alle Bewerber sind jung. Wahrscheinlich haben die Alten alle ein Zuhause.

Die ersten Interessenten waren eigentlich die besten. Eine junge Frau, die bessere Hälfte eines Studi-Pärchens, hatte mich angerufen und schäumte vor Jubel am Telefon fast über: Wie toll das alles wäre, die Wohnung und mein Angebot und dass sie mich erreicht hätte und und und. In dem Moment – ich gebe es zu – machte ich mich vor meiner Begleitung über die Anruferin lustig. Es fielen die Worte „hysterisch“, „Begeisterungsgenerator“ und „abgeschmackte Angelsachsen-Show“. Ich war geneigt zu sagen, „ist doch gut, Mädchen, beruhig dich wieder, es ist nichts passiert, es ist nur eine Wohnung und auch die hast du noch lange nicht“.

Ihre Begeisterung war mir suspekt. In der Beziehung bin ich extrem deutsch. Auf die Idee, Misanthropie und Übellaunigkeit in eine überlegene Geisteshaltung umzudeuten, kann nur das Volk der Dichter und Denker kommen. Denn bei Lichte betrachtet ist es doch ganz schön, wenn Landsleute auch mal eine andere Mentalität an den Tag legen als diese lebenden Leichen, wie sie die 60er Jahre von der Stange produzierten. Und die nun auch noch zunehmend ranzig werden – für diese Diagnose braucht man sich bloß ihr blasiertes Netz­genöle durchlesen. Wahrscheinlich – so unvorstellbar das für Meinesgleichen sein mag – hat sie sich wirklich gefreut. Das soll es ja geben. Und sie äußert diese Freude dann eben auch Fremden gegenüber. Das tägliche Brot aus Niederlagen, Bitterkeit und Hass wird sie noch früh genug kennenlernen.

Sie hatten eigentlich was für länger gesucht und das dann auch gefunden. Mit offenen Karten gespielt und supernett abgesagt. An so etwas merkt man immer erst im Nachhinein, dass es die Richtigen gewesen wären.

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