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: Alle Leitungen besetzt: über Alltag und Mut in der DDR

Der Toncollage „Sie sprechen mit der Stasi“ liegen „Notizen zur Sprache der Staatssicherheit“ bei. Darin kündigt der Hörspielkünstler Andreas Ammer an: „Jetzt hören wir zurück.“

Ein interessantes Vorhaben; ermöglicht wird es erst durch die Akribie, mit der die DDR-Behörde für Staatssicherheit jegliche Kontakte auf Tonbändern dokumentiert hat, seien es Denunziationsanrufe aus Ost und West, Verhöre oder Störanrufe, die kritische Geister tätigten, damit die Leitungen besetzt sind. Zwei Jahre lang haben sich Andreas Ammer und der Musiker FM Einheit – die schon seit 25 Jahren gemeinsam Originaltöne und Dokumente zu Hörproduktionen verarbeiten – im Archiv der Staatssicherheit durch Originalaufnahmen gehört und einen winzig kleinen Ausschnitt davon zu einer bedrückenden Collage montiert.

Bedrückend, weil offenbar wird, wie sehr sich das Selbstverständnis des Überwachungsstaates in die DNS seiner Bürger eingefräst hat: Ein Mann meldet pflichtbewusst, dass seine ehemalige Schwiegertochter die Republikflucht plant. Das Vertrauen, das er dabei dem Offizier entgegenbringt, ist frappierend, die von Ton und Sprachhabitus untermauerte Überzeugung, das Richtige zu tun, ekelerregend. Bedrückend auch, dass das Wort „Flucht“ bei dem Denunzianten keinerlei Reflexion durchschimmern lässt. Er hat die Tatsache, eingekerkert zu sein, als völlig normal verinnerlicht.

Die vom Ex-Schlagzeuger der Einstürzenden Neubauten, FM Einheit, komponierten Klänge tönen in gleichberechtigter Lautstärke mit den Sprachaufnahmen. Sie stellen einen Flow her, der indiziert, dass eine unheilvolle Reise bevorsteht. Dem bisweilen nervigen Miles-Davis-Saxofon sind presslufthämmernde Bohrgeräusche an die Seite gesetzt, sie machen den Stachel im Fleisch des Verhörten spürbar, der „Lassen Sie mich bitte nach Hause“ wimmert, aber sonst kaum zu verstehen ist. Die Grenze zum Reißerischen ist hier allerdings auch nicht weit.

Zum Schluss dokumentieren die Stasi-Offiziere sachlich die Parolen der Demonstranten vor der Behörde: „40 Jahre Impotenz erfordern volle Konsequenz.“ Im Hintergrund wird skandiert „Schämt euch“. Die Allmacht der Stasi-Beamten bröckelt, sie haben es noch nicht begriffen, das Zurückhören beginnt.

Wahrscheinlich ein Spitzel

Jemand, der die DDR nur aus dem Geschichtsbuch kennt, ist, um sich über die Fakten hinausgehend auch ein emotionales Bild machen zu können, auf Erzählungen angewiesen. Judith Burger hat mit „Gertrude grenzenlos“ eine solche Erzählung geschrieben. Burger wuchs in Halberstadt in Sachsen-Anhalt auf und war 17, als die Mauer fiel. Ausgehend von der Frage „Was hätte ich getan?“ – im informativen Booklet erläutert sie Lebensumstände in der DDR und ein Glossar gibt Auskunft über Begriffe wie Stasi, Berliner Mauer oder Sozialismus – erfand sie die Geschichte von Gertrude und Ina, in der es um Mut geht, um Angst, um Anpassung und um Aufbegehren gegen offensichtliches Unrecht.

Als Gertrude 1977 in Inas Klasse kommt, freunden sich die beiden an, und Ina gerät in den Blick von Lehrern und der Nachbarin Frau Sauerbier, die wahrscheinlich ein Spitzel ist. Der Grund: Gertrudes Familie hat einen Ausreiseantrag gestellt, der Vater ist ein mit Berufsverbot belegter Dichter, die Familie religiös. Burger erzählt mitreißend, wie sich Ina zu einem mutigen Mädchen mausert, das für eine Freundschaft auch Schwierigkeiten in Kauf nimmt. Informationen über den Lebensalltag in der DDR fügt sie völlig organisch ein, evoziert beeindruckend eine klaustrophobische Stimmung.

Die Schauspielerin Natalia Belitski, die 1991 von Sankt Petersburg nach Deutschland kam, liest den Roman mit glasklarer Stimme, ist empathisch, aber nie gefühlsselig. Die enthaltenen Pionierlieder verleihen dem Gehörten zusätzlich Glaubwürdigkeit. Sylvia Prahl

Andreas Ammer & FM Einheit, „Sie sprechen mit der Stasi“, 1 CD, 53 Min., 2018, der Hörverlag

Judith Burger, „Gertrude grenzenlos“, gelesen von Natalia Belitski, ab 9 Jahren, 4 CDs, autorisierte Lesefassung mit Musik, 294 Min., 2018, Argon Verlag