wortwechsel
: So einfach ist unsere Welt nicht

Die vorzeitigen Schuldzuweisungen an Russland schockieren einige taz-Leser*innen. Wir sollten misstrauisch gegenüber vermeintlichen Wahrheiten bleiben

Nach dem Giftanschlag in Salisbury Foto: Andrew Mathews/ap

Kalte Krieger

„Weder Käse noch Kultur“, taz vom 24. 3. 18

Die Angriffe gegen Russland wegen des bisher diesem nicht nachgewiesenen Giftanschlags in England sollten von Politik und Presse doch tiefer gehängt werden. Denn auch unsere Freunde und Bündnispartner machen das Gleiche, geraten aber deswegen nicht so ins Zentrum der Kritik. Seit Jahren brüsten sich die USA, erklärte Terroristen mithilfe von Drohnen oder sonstigen Lenkwaffen in souveränen Ländern umzubringen. Sie fragen dann auch nicht vorher um Genehmigung nach.

Laut einer gerade veröffentlichten Publikation ehemaliger Mossad-Mitarbeiter – des israelischen Geheimdienstes – haben diese in den letzten Jahrzehnten über 3.000 Menschen in souveränen Staaten liquidiert, die als gefährliche Feinde Israels galten. Übrigens auch in Deutschland sind solche Aktionen durchgeführt worden. Bei diesen Aktionen hat es aber nicht einen solchen Aufschrei mit der Forderung nach Sanktionen gegen diese beiden Länder gegeben wie bei diesem – bisher nicht nachgewiesenen – Anschlag auf die zwei russische Menschen in England. Die Tötungen der beiden Länder USA und Israel sind von ihnen zugegeben, also als wahr zu konstatieren.

Sind die von unseren Bündnispartnern und Freunden umgebrachten Menschen weniger wert als die angeblich von Russen umgebrachten? Mir scheint, hier drehen die „kalten Krieger“ bewusst am Rad, um Stimmung gegen Russland zu machen und einer weiteren Aufrüstung entlang der Grenze zu Russland das Wort zu reden. Etwas mehr Aufrichtigkeit und weniger Heuchelei stände uns Deutschen hier gut zu Gesicht. Fritz Bilz, Köln

Große Unklarheit

„Kalter Krieg reicht nicht“, taz vom 14. 3. 18

Ein Gedankenexperiment: Angenommen, die taz wäre am 14. März umsonst an alle russischen Haushalte in russischer Sprache verteilt worden und die überlebenden Familienangehörigen von über 20 Millionen Toten des letzten Weltkrieges hätten die Schlagzeile von Dominic Johnson gelesen, „Kalter Krieg reicht nicht“.

Die Indizienlage im Fall Skripal ist klar, heißt es bei Johnson in seinem Artikel vom 20. März. Da scheint er ja über mehr Informationen zu verfügen als der Rest der Welt, er gibt sie in seinem Text nur nicht preis.

Denn die Indizienlage ist überhaupt nicht klar – das Einzige, was man weiß, ist, dass Nowitschok zu sowjetischen Zeiten in Usbekistan hergestellt wurde. Allerdings wusste Johnson (Außenminister Großbritanniens, nicht zu verwechseln mit Johnson der taz) schon kurz nach dem Attentat, dass Putin persönlich die Order gegeben hat.

Als gäbe es keinen Schwarzmarkt, auf dem auch Nervengift erstanden werden kann, als gäbe es keine Agentenszene, in der Racheakte durchaus üblich sind, gerade bei Doppelagenten, als hätten nicht auch ehemalige Sowjetrepubliken über Nowitschok verfügt, als wären die ­Giftbestände nicht unter internationaler Aufsicht vernichtet worden.

Die unklare Indizienlage wird noch übertroffen von der Unklarheit des Täter­motivs.

Wie heißt es noch in Johnsons Artikel? Russland habe starke Wirtschaftsinteressen in London, da könne man sie an empfindlicher Stelle treffen. Warum hätte sich Russland denn dann selbst treffen sollen durch solch ein Attentat, wohl wissend, welche Sanktionen Johnson (GB) und Johnson (taz) fordern würden? Es ist allgemein bekannt, dass sportliche Großereignisse für Russland eine herausragende Rolle spielen. Warum sollte Russland durch solch ein Attentat die Fußballweltmeisterschaft aufs Spiel setzen? Johnson (GB) hat bereits jetzt mit Boykott gedroht.

Oder mal andersherum: Kann es nicht auch geopolitische Interessen geben, denen es entgegenkommt, dass der westlichen Sanktionspolitik, der gerade die Anhänger abhandenkommen, wieder Feuer gemacht wird? Alle Motive und Indizien sind klar! Für Johnson (GB) und Johnson (taz) vielleicht, wenn man es sich leicht macht, vielleicht, wenn man aus innenpolitischen Gründen Feinde von außen braucht, vielleicht. Aber Johnson (taz) ist Journalist – dem Berufsethos verpflichtet. Und Johnson urteilt hier nicht nur oberflächlich, uninformiert, ohne Hintergründe und Ziele zu kennen, sondern die Schlagzeile „Kalter Krieg reicht nicht“ ist geradezu gefährlich, das ist Aufwiegelung, Stimmungsmache, mal wieder gegen Osten.

Dass Johnsons (taz) Kenntnisse über den sogenannten Kalten Krieg nicht besonders belastbar sind, zeigt schon der Text, der auf diese Schlagzeile folgt, nein, er fordert nicht den heißen Krieg, auch wenn der Titel das eindeutig evoziert – bewusst? –, nein, er ruft nicht zu den Waffen, sondern zu wirtschaftlichen Waffen und erweckt durch den Titel den Eindruck, als habe die Wirtschaft während des sogenannten Kalten Krieges keine Rolle gespielt, dabei war sie doch die Basis, war die Antriebskraft schlechthin. Mechthild Ratering, Berlin

„James Bond“-Drehbuch

„Uneins und gespalten“, taz vom 27. 3. 18

Es ist für mich erschreckend, wie hier aus einem Doppelagenten und aus schnellen Vermutungen ein „James Bond“-Drehbuch inszeniert wird. Großbritannien hat mit seinem EU-Austritt genug Probleme. Die EU hat mit sich selbst genug Schwierigkeiten. Wie einfach ist es, die Bürger von all diesen Themen mit einem großen außenpolitischen Theater abzulenken: Die europäischen Regierungen zeigen durch Ausweisung russischer Diplomaten endlich mal wieder Einigkeit und preiswerte Kameraderie mit Theresa May.

Die Nachkriegsgeschichte – von der Währungsreform über das Totrüsten der UdSSR bis zu deren Zusammenbruch 1989 – habe ich (Jahrgang 1935) als „Russlandversteher“ wach und kritisch verfolgt. Jede in den Vereinigten Staaten neu entwickelte Waffe war frühestens erst drei bis vier Jahre später auch in der UdSSR als „Bedrohung Europas“ verfügbar. In der Vergangenheit, auch in den heißen Phasen des Kalten Krieges, war Russland als Vertragspartner immer verlässlich, bis die Ukraine ihre Einflussmöglichkeiten auf die lokalen Gasrohre entdeckte.

Mich erschreckt unglaublich die Leichtfertigkeit, mit der Nato und Bundesregierung den europäisch-deutsch-russischen Beziehungen ein so geringes Gewicht einräumen. Jedenfalls ist – deutsch-atlantische Freundschaft hin und her – Russland auch in hundert Jahren noch unser östlicher Nachbar. Klaus Fietzek, Bornheim

Keine Sandkastenlogik

„An der Haustür vergiftet“, taz vom 29. 3. 18

Die vorzeitigen Schuldzuweisungen an Russland schockieren mich, weil sie mich an Inszenierungen und Lügen erinnern, die seinerzeit die Irakkriege rechtfertigen sollten. Erinnern wir uns: Die Zustimmung zum ersten Irakkrieg 1990 stieg erst an dem Tag, an dem eine angebliche Hilfskrankenschwester vor dem US-Kongress berichtete, wie irakische Soldaten Frühgeborene aus den Brutkästen in Kuwait-Stadt genommen (und getötet) hätten. Erst viel später – nachdem der Krieg bereits in vollem Gange war – wurde diese Rede als Inszenierung einer Botschaftsangehörigen entlarvt.

Die Zustimmung zum zweiten Irakkrieg wurde 2003 vor der UNO vom damaligen US-Außenminister Powell mit „sicheren Beweisen“ angeblicher Massenvernichtungswaffen des Iraks gerechtfertigt. Ein Krieg, der uns in Form eines zerfallenen Staates, Verarmung der Menschen, Millionen Flüchtlingen, Hass auf die „westlichen Werte“ und eines entstandenen IS bis heute zu schaffen macht.

Was ich aus diesen Kriegsrechtfertigungen, die sich später als Lügen herausstellten, gelernt habe: Bleibe misstrauisch gegenüber vermeintlichen Wahrheiten. Wenn Feindbilder und Hass unser ­Denken und Fühlen bestimmen, ist der Weg zu lebensfreundlichen Lösungen der Konflikte kaum mehr möglich. Oder glaubt irgendein erwachsener Mensch ernsthaft an die Sandkastenlogik, dass wir die Guten sind und die anderen die Bösen? So einfach ist unsere Welt nicht.Kurt Lennartz, Aachen