: Per Speed-Dating in den Bundestag
VORWAHLKAMPF Die Grünen suchen einen Nachfolger für Wolfgang Wieland – in ungewöhnlicher Form
Die Moderatorin hält einen Zettel hoch: Noch fünf Minuten. Das reicht für zwei Fragen, zwei Antworten. „Danke, die Zeit ist um.“ Über 60 Frauen und Männer im Raum stehen auf und wechseln zu einem anderen der fünf Tische. Es ist ein Speed-Dating, das im Pressesaal der Grünen-Bundeszentrale zu erleben ist. Bloß dass keiner fürs Bett, sondern fürs Politische gesucht wird.
In dem Haus nahe der Invalidenstraße, wo sonst Claudia Roth und Cem Özdemir Politik zu erklären versuchen, präsentieren sich an diesem Abend fünf Männer und Frauen, die bei der Bundestagswahl 2013 für die Grünen in Mitte kandidieren wollen – in jeder Runde 20 Minuten lang. Der Platz ist frei, weil Urgestein Wolfgang Wieland nicht mehr will. Es ist der am stärksten umkämpfte im Landesverband. In keinem anderen Bezirk neben Kreuzberg haben die Grünen größere Chancen, ein Direktmandat zu gewinnen. Nur 4,5 Prozentpunkte lag Wieland 2009 hinter der SPD.
Drei der fünf Bewerber sind bekannt: Özcan Mutlu, der grüne Bildungspolitiker im Abgeordnetenhaus, sein Fraktionskollege Michael Schäfer, der Energieexperte, und Thilo Fuchs, enger Mitarbeiter von Wieland und wie der in der Innenpolitik zu Hause. Bei so großer Spezialisierung kommt oft die Frage: Was kann der sonst noch? Fuchs muss sich zu Hartz IV äußern – „bis auf die Höhe der Regelsätze okay“. Wieder sind 20 Minuten um. Stühle rücken, nächster Tisch. Dort soll Schäfer erklären, ob er „die Rampensau“ geben, auch Leute auf der Straße begeistern kann.
Mal ist ein Tisch leerer, mal kommt es wie bei der „Reise nach Jerusalem“ zum Run auf den letzten freien Stuhl. Ist es ein Zeichen von Desinteresse an Fuchs, dass einmal nur drei Leute bei ihm sitzen? Oder kennen sie ihn als Vorstandsmitglied schon genug und befragen lieber die als chancenlos eingeschätzen Kandidaten Nr. 4 und 5? Stühlerücken, wieder 20 Minuten vorbei. Nicht im Raum: Wolfgang Wieland. Der wolle keinen empfehlen, sagt Fuchs. Das sagt Wieland später auch der taz. Und doch scheint durchzuklingen, dass Fuchs auf Wielands Aura hofft: „Sein Leib- und Magenthema ist die Innenpolitik“, sagte er, „insofern …“ – er braucht nicht auszusprechen, dass es auch seins ist.
Mutlu, lange in Kreuzberg zu Hause und seit einem Jahr in Mitte, wirbt währenddessen zum fünften Mal für sich als den, der als Schulpolitiker bei den Bildungseltern und als Türkeistämmiger bei den 40.000 wahlberechtigten Migranten für die Grünen punkten kann.
„Danke, das war’s.“ Die Partnerfrage klärt sich auch beim politischen Speed-Dating nicht sofort – entschieden wird erst Mitte November. STEFAN ALBERTI