press-schlag
: Der postpotente Partypatriotenpate

Sekundenwunder David Odonkor will am
26. Mai in Aachen das vermutlich gekaufte Sommermärchen 2006 wiederbeleben

Es war einmal ein Land, das wollte so gern die besten Fußballer der Welt einladen. Also sammelten sie heimlich ganz viele Taler und warfen sie den mächtigsten Königen der Welt hin, damit sie ihre Wünsche erhören. Die Könige waren zufrieden und hoben, wie man heute sagen würde, den Daumen. Und tatsächlich: Alle, alle kamen.

Das deutsche Sommermärchen 2006 war, wie wir heute wissen, vermutlich schnöde gekauft von Franz Beckenbauer und Konsorten. Zumindest Deutschland als Location des Märchens vom Fußballmärchen. Für die richtige Stimmenabgabe in den Geheimzirkeln der Fifa waren Millionen geflossen nach Katar und um Katar herum, wo 2022 ein Wüstenmärchen geplant ist.

Nun will David Odonkor mit seinem Abschiedsspiel das Märchen wiederbeleben. Am Nachmittag des 26. Mai soll auf dem Aachener Tivoli die 2006er WM-Elf erstmals wieder auflaufen, gegen ein Team aus Bundesliga-Allstars von damals.

Zur Erinnerung: David Odonkor, damals 22, Außenstürmer mit mäßigen Meriten bei Borussia Dortmund, war völlig überraschend von Bundestrainer Jürgen Klinsmann ins WM-Aufgebot berufen worden. Odonkors Pfund: 10,7 Sekunden auf 100 Meter. Im zweiten Spiel (in Dortmund gegen Polen) wechselte Klinsmann die kleine, untersetzte Rakete ein. In der Nachspielzeit zog Odonkor mit einem Sprint davon, flankte von rechts – und Oliver Neuville drückte zum 1:0-Sieg ein. In diesem Moment war nach späterer Geschichtsschreibung das Sommermärchen erfunden. „Ich habe nie mehr einen solchen ohrenbetäubenden Knall bei einem Tor gehört wie damals“, sagt Odonkor heute.

Odonkors Stern ging bald unter. Schon bei der WM spielte er keine große Rolle mehr. Er wechselte, schlecht beraten, zu Betis Sevilla und versauerte dort knallfrei. Dann zwei Jahre Knie-Entzündung, Komplettabseits, vorzeitige Karrierenachrufe. So war es eine Sensation, als ihn 2011 Zweitligist Alemannia Aachen aus dem Krankenstand verpflichtete. „Niemand hatte mehr an mich geglaubt … große Dankbarkeit …“ Deshalb wollte er jetzt „das Sommermärchen zurückholen“, indem er „Alemannia etwas zurückgebe“.

David Odonkor weiß, was sein Flankenlauf am 14. Juni 2006 um 22.51 Uhr politisch ausgelöst hat: „Danach hat sich keiner mehr geschämt, mit deutschen Fahnen herumzulaufen.“ Tja, ohne das Sekundenwunder Odonkor hätte es vielleicht keine Debatte über das neue deutsche Nationalbewusstsein gegeben und der Begriff Partypatriotismus wäre bis heute unbekannt. Odonkor, der Partypatriotismuspate.

Erste Zusagen kommen von Per Mertesacker, Lukas Podolski, Gerald Asamoah, Neuville, den Ex-Aachenern Simon Rolfes und Torsten Frings sowie den damaligen BVB-Brasilianern Dede und Evanilsson.

Und übrigens: 11,3 Sekunden laufe er immer noch, versichert Odonkor, der heute einen Siebtligisten trainiert und im Privatfernsehen erst tanzend und zuletzt bei einer Kochshow reüssierte. 11,3 – das schaffen auch nur wenige, die am Abend des 26. Mai das Nachspiel bestreiten werden – in Kiew im Champions-League-Finale.

Bernd Müllender