: Störung nicht ausgereizt
TANZ Mit „Störkörper“ präsentiert das „Alsomirschmeckts!“-Theater seine erste eigenständige Tanztheaterproduktion im Schlachthof und auf der Speicherbühne
VON JENS LALOIRE
„Einfach grün“ hieß eine Tanzperformance, die letztes Jahr in der „Schaulust“ im Güterbahnhof zu sehen war. 14 Frauen und Männer brachten da in Soli, Duetten oder als Ensemble verschiedene persönliche Fragmente sehr berührend auf die Bühne. „Einfach grün“ war eine Produktion des Tanzwerks Bremen – und zwar in Kooperation mit dem „Alsomirschmeckts!“-Theater (AMS). Das AMS ist ein Kollektiv freier Kunst- und Kulturschaffender, das Künstler verschiedener Sparten zusammenbringt. Neben der Aufführung einiger freier Theaterproduktionen hat das AMS seit seiner Gründung 2008 verschiedene Bremer Festivals mitgestaltet. Nun präsentiert die Truppe ihr erstes eigenständig entwickeltes Tanztheaterstück.
In „Störkörper“ erzählen sechs Tänzerinnen und ein Tänzer mit ihren Choreografien von einer Welt voller Störmomente. Die Akteure agieren ohne Bühnenbild, Requisiten oder Kostüme allein über ihre Bewegungen miteinander. Geschickt eingesetzte Lichtwechsel unterstützen die Stimmung der jeweiligen Situationen. Vor allem aber der Soundtrack, den der Jazz-Gitarrist Daniel Meyer mit zwei Gitarren und verschiedenen Effektgeräten entwirft, prägt die Atmosphäre des Stücks.
Außer der Musik sowie den Geräuschen der nackten Füße auf dem Bühnenboden gibt es nicht viel zu hören. Die Inszenierung verzichtet ganz auf Sprache, allein in zwei Szenen kommt die menschliche Stimme zum Einsatz. Einmal in einem lebensfrohen Duett, in dem Mann und Frau sich finden und gemeinsam auf der Bühne austoben – was der strahlenden Tänzerin ein freudiges Juchzen entlockt. Und ein anderes Mal in einer Szene, in der sich das Ensemble mit dem Rücken zum Publikum in eine A-cappella-Gruppe verwandelt. Zischen, Ploppen, Brummen, Summen und leichter Gesang verleihen der Sequenz einen dynamischen Drive. Insgesamt überwiegen die ruhigen, manchmal sehr abstrakten Momente, gelegentlich aufgelockert durch schwungvolle und komische Augenblicke, die meist durch die kollektive Steigerung des Tempos entstehen.
Einzelne Störungen brechen immer wieder in die Bewegungsabläufe der gut einstündigen Szenencollage. Sehr offensichtlich sind diese Störmomente, wenn fünf im Hintergrund hockende Tänzer mit ihren Beinen zappeln und vereinzelt aufspringen, um in ein Duett zweier Darstellerinnen hineinzustürmen. Oder wenn plötzlich nicht die Bühne, sondern die Zuschauerränge hell erleuchtet werden und die Akteure sich am Bühnenrand positionieren und ihr Publikum angaffen. Oft sind diese Störmomente jedoch so minimal, dass sie dem Zuschauer kaum auffallen. „Wir wollten das Thema nicht ausreizen“, sagt Adriana Könemann, die gemeinsam mit Dorothea Dentler die choreografische und organisatorische Leitung innehat.
Könemann, die an der Fachhochschule in Ottersberg Theaterpädagogik mit Schwerpunkt Tanz studiert, hat wie alle anderen Beteiligten das ganze Projekt unentgeltlich auf die Bühne gestemmt. Ausgangspunkt, so Könemann, sei die Motivation gewesen, gemeinsam ein Tanzprojekt auf die Beine zu stellen und ganz grundsätzlich zu erforschen, „was Tanz bedeutet und welche Erfahrungen wir mit unseren Körpern machen können“. Das Thema Störung habe sich erst während der ersten Probenmonate herausgebildet.
Insgesamt ist dieses frei inszenierte Tanztheaterstück ein Beleg dafür, dass die freie Szene in Bremen nicht nur gut vernetzt und lebendig ist, sondern auch in der Lage, Produktionen von hoher Qualität auf die Bremer Bühnen zu bringen. Nach der Kooperation zwischen Tanzwerk und AMS hat nun die Theaterwerkstatt des Schlachthofs mit dem AMS kooperiert. Das Kulturzentrum Schlachthof scheint sich damit verstärkt zu einem Sammelpunkt der freien Szene zu entwickeln. Bereits am 30. Oktober folgt die nächste freie Produktion der Theaterwerkstatt: eine theatrale Feldforschung über Altersdiskriminierung.
■ Samstag, 27. und Sonntag, 28. Oktober, jeweils um 20 Uhr, Speicherbühne im Speicher XI; Donnerstag, 22. November, Kulturzentrum Schlachthof; weitere Informationen unter www.alsomirschmeckts-theater.de
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