„Die Bilanz ist vernichtend“

Wahlcheck: Fragen zur Wahl, von Experten beantwortet. Heute: die Gewerkschaften. Hartmut Tölle, DGB-Vorsitzender in Niedersachsen, Bremen und Sachsen-Anhalt, über die schwarz-gelbe Koalition

Interview: Kai Schöneberg

taz: Zweieinhalb Jahre regiert schwarz-gelb jetzt in Niedersachsen. Haben Sie ihren Chef in der Berliner DGB-Zentrale schon vor ähnlichen Verhältnissen im Bund nach dem 18. September gewarnt?

Hartmut Tölle: Mit Niedersachsen geht es bergab, seitdem Ministerpräsident Wulff am Ruder ist. Dennoch muss Michael Sommer nicht von mir gewarnt werden. Das Treffen mit Angela Merkel am vergangenen Dienstag hat erneut gezeigt, wo die Differenzen zwischen Union und DGB liegen.

Was sind denn Ihre Kritikpunkte zur Halbzeit der CDU/FDP-Regierung?

Christian Wulff versteht es, sich geschickt zu verkaufen. Für uns sind aber Resultate entscheidend – und die sind letztlich vernichtend. Die Investitionen des Landes sind so niedrig wie seit 1949 nicht mehr – so niedrig wie derzeit in keinem anderen Bundesland. Damit bleiben nicht nur wichtige Infrastrukturmaßnahmen auf der Strecke. Auch die Zahl der Unternehmenspleiten ist auf einem Rekord-Hoch: Von den 1.700 Insolvenzen in den ersten vier Monaten dieses Jahres sind fast 400 aus der Bauwirtschaft. Niedersachsen wird zum Bremser der Binnenkonjunktur. Mit seiner prozyklischen Kürzungspolitik reitet Wulff den Niedersachsen-Gaul zu Grunde.

Die Landesregierung behauptet, Sparen sei dringend notwendig, um die Schuldenspirale zu stoppen.

Wenn die CDU tatsächlich den Spitzensteuersatz auf 39 Prozent senkt, hat das Land wieder Einnahmeverluste in Höhe von mehreren hundert Millionen Euro zu verkraften. Niemand in der Landesregierung hat bis jetzt gesagt, wie diese Einnahmen ausgeglichen werden sollen. Formal hat die Regierung Wulff zwar die Kreditaufnahme gesenkt, tatsächlich aber die Schulden in Schattenhaushalten versteckt. Nicht nur, dass inzwischen das Tafelsilber verkauft wurde – Wulff & Co. verspielen auch die Chancen, zusätzliche Einnahmen durch die Steuerfahndung oder den Abbau von Steuersubventionen auf Bundesebene zu erzielen.

Dafür soll jetzt den Hochschulen eine verlässliche Planung der Landesmittel garantiert werden.

Gerade Forschung und Entwicklung sind die Stiefkinder dieser Landesregierung. An den Hochschulen streicht die Regierung Wulff bis 2008 insgesamt 260 Millionen Euro, weitere 100 Millionen dürften im Rahmen des so genannten „Zukunftsvertrags“ dazukommen. Die Folge: Weniger Erfindungen und Ausgründungen.

Wie ist Ihre Bilanz im Arbeitsmarkt-Bereich?

Die Zahl der Arbeitslosen liegt in Niedersachsen seit Juli 2004 regelmäßig höher als im Vorjahresmonat. Arbeitsmarktpolitik findet in Niedersachsen nicht statt. Das ist absolut tödlich. Vor allem aus dem Ressort des zuständigen FDP-Ministers Walter Hirche würde ich mir mehr Unterstützung wünschen.

Warum findet der DGB mit seinen Forderungen kein Gehör im Land?

Zahlreiche unserer Initiativen sind in den Ministerien verendet. Zur Zeit gibt es keinen Punkt, über den wir noch verhandeln. Ich sehe da auch keine Basis für.

Elf Tage vor der Bundestagswahl ziehen Sie eine ziemlich ernüchternde Bilanz für CDU und FDP. Dabei wollten die Gewerkschaften eigentlich keine Wahlempfehlung abgeben. Oder?

Nein, das gehört auch nicht zu unserem Verständnis. Und: Die Einzelgewerkschaften wie der DGB haben stets zu den härtesten Kritikern der rot-grünen Koalition in Berlin gehört. Da kann man uns jetzt schlecht Wahlkampfhilfe vorwerfen.

Sie würden mit einer Stellungnahme für Rot-Grün ja auch viele im eigenen Lager vergrätzen, die sich der Linkspartei angeschlossen haben. Stimmt‘s?

Ich sehe bei den Gewerkschaften keine Spaltung zwischen Anhängern der SPD und denen der Linkspartei. Dennoch muss man sagen, dass es bei der Linken große Übereinstimmungen mit unserem Programm gibt. Wichtig ist jedoch allein, welche politische Substanz aus diesem Programm entsteht.