Gutachter nimmt Jugendamt in Schutz

UNTERSUCHUNGSBERICHT (II) Kinderschutzexperte diagnostiziert im Fall des Bad Segeberger „Kellerkindes“ ein Scheitern des Hilfesystems, sieht aber kein Verschulden von Mitarbeitern. Die Familie des Jungen habe sich nicht entscheiden können, ob sie Hilfe annehmen wollte

So viel Medieninteresse dürfte selten sein – Jugendhilfe- und Hauptausschuss-Sitzungen stehen normalerweise nicht weit oben auf redaktionellen Terminlisten. Doch am Donnerstag fuhren gleich mehrere Kamerateams zur Sitzung der beiden Ausschüsse in Bad Segeberg. Reinhart Wolff, vom Kreis bestellter Gutachter, hatte sich zusammen mit einer Mitarbeiterin drei Wochen intensiv mit den Umständen des Kellerkindfalls auseinandergesetzt – schon sein öffentlicher Bericht vor beiden Ausschüssen dauerte Stunden.

Die Kernaussagen des Berliner Kinderschutzexperten waren bald klar: Wolff nahm das Jugendamt in Schutz – dortigen Mitarbeitern ist nach seiner Ansicht kein Vorwurf zu machen. Die Eltern des Kellerkindes seien selbst erheblich belastet und nicht in der Lage gewesen, die Unterstützung von außen vertrauensvoll zu nutzen. Die Familie habe eigentlich intensive Förderung gebraucht, diese aber gleichzeitig immer wieder abgelehnt. Dieses Schwanken zwischen Öffnen und Schließen habe sich auch auf das Hilfesystem übertragen, so der Wissenschaftler. In mehr als sechs Jahren sei ein Arbeitsbündnis „nachhaltig nicht“ gelungen.

Wolff bescheinigte dem Jugendamt allerdings auch eine hohe Arbeitsbelastung: es habe Vertretungen gegeben, was die „Kontinuität in der Fallbearbeitung“ erschwert habe.

Wolff warb vor den Kreistagsabgeordneten darum, Kinderschutz nicht nur als Aufgabe von Fachkräften zu begreifen. Wichtig sei, „nicht mit Schaum vor dem Mund zu sprechen“. Risiken könne man nie eliminieren, so Wolff. Er plädierte dafür, die gewonnenen Daten und Erkenntnisse zur weiteren Aufarbeitung des Falls zu nutzen.

Nach den Worten des Hauptausschuss-Vorsitzenden Henning Wulf (CDU) sollen die Erkenntnisse des Gutachtens in den Fraktionen des Kreistags weiter diskutiert werden. Die nächste Sitzung des Gremiums ist kommende Woche.

Im Juni dieses Jahres war ein Dreijähriger in einem verdreckten Keller in Bad Segeberg entdeckt worden. Erst mit Verzögerung stellte sich heraus, dass das Jugendamt große Teile des Sorgerechts hatte, das Kind aber bei der Familie lebte. Inzwischen laufen Ermittlungen der Kieler Staatsanwaltschaft. Auch die Landespolitik hat sich mit dem Fall befasst.  FBT