Verrat und Leidenschaft

Maestro Muti kommt geflogen: Das Musikfest hat den Glanz der weiten Welt nach Bremen geholt

Das diesjährige Bremer Musikfest ist nicht nur regionaler denn je, es ist zugleich glamouröser. Den neun Konzerten „in der Fläche“ stehen 14 in Bremen selbst gegenüber – die aber suchen verstärkt den Anschluss ans internationale Geschehen. Stolz verweisen die Veranstalter auf die erstmalige Kooperation mit den Salzburger Festspielen, die in Gestalt von Mozarts Opern-Erstling „Mitridate“ zur Zeit in der alten Staplerhalle beim Speicher XI (die während des Festivals freilich als „BLG-Forum Überseestadt“ firmiert) zu erleben ist. Ein beachtlicher Schulterschluss.

Aber auch unabhängig von Salzburg blendet das 16. Musikfest mit einem unübersehbaren Glamour-Faktor. Er personifiziert sich in der Gestalt von Riccardo Muti, nach dessen Konzert am heutigen Donnerstag (Rossini, Busoni und Schubert in der „Glocke“) sogar ein Musikfest-Ball im Parkhotel stattfindet – auch das ein absolutes Novum.

Das Musikfest hätte keinen Besseren als Muti engagieren können, um die Welt der illustren Leidenschaft, der publikumsaffinen Passion sowie der unerhörten Intrige nach Bremen zu holen. Denn: Der 63-jährige Riccardo Muti ist ein „Maestro massimo“. Ein Pultstar der alten Schule, mit dem Ruf des musikalischen Perfektionisten. Fast zwei Jahrzehnte hat er als Chef-Dirigent die Geschicke des „Teatro alla Scala“ in Mailand gelenkt, also die Wiege des italienischen Opernrepertoires geschaukelt.

Doch damit nicht genug. Just vor vier Monaten hat Muti mit seinem von einer ungeheuren Medienöffentlichkeit begleiteten Abgang aus Mailand auch noch jene Komponenten mitgeliefert, die sich als Salz in der Suppe des klassischen Musiktheaterbetriebes kristallisieren: Verschwörung, Vatermord, Verrat. Zunächst einmal schien der Vorgang normal: Muti, der sich mit dem Scala-Intendanten Carlo Fontana noch nie verstanden hatte, wollte seinen Favoriten Mauro Meli als Nachfolger durchsetzen. Der allerdings hatte zuvor im sardinischen Cagliari eine beachtlichen Schuldenberg hinterlassen – was die Muti-Gegner zum Anlass nahmen, den Dolch gegen den langjährigen Scala-Fürsten Muti zu erheben.

Dessen zeitgenössische Form hieß Streik. Der Skandal – die Filarmonica della Scala weigert sich, unter ihrem Chef zu spielen, droht gar mit Hausbesetzung – zog weiteste Kreise und kostete Premieren inklusive Welturaufführung die Existenz. Schließlich zog auch Muti die Konsequenz und kündigte – „die schlimmste Krise“ in der 227-jährigen Geschichte des Hauses, wie die „Financial Times“ befand. Der „Spiegel“ sprach vom „Kollaps in der Schlangengrube“, die „Zeit“ sah die Scala „künstlerisch in den Trümmern“. Doch Muti, ganz Phoenix aus der Asche, entfaltete seine musikalischen Flügel schnell und weit – jetzt tragen sie ihn zu seiner Bremen-Premiere an die Weser. HB