Fische im Wald begraben

Zusammen trinken, miteinander schlafen, einander verfehlen: Mit seinen Filmen zeigt sich Hong Sang-soo als Meister der motivischen Wiederholung. Das macht ihn zum bedeutendsten Gegenwartsregisseur innerhalb der Reihe „Korea – die Entdeckung eines Kontinents“, die jetzt im Arsenal zu sehen ist

Bei Hong Sang-soo gibt es merkwürdige Zeichen zum Wiedererkennen

VON EKKEHARD KNÖRER

2005 ist das Korea-Jahr, ganz offiziell. Korea ist das Gastland der diesjährigen Buchmesse, und in Frankfurt läuft im Herbst begleitend eine große Filmreihe im Filmmuseum. Aber auch der Berliner Kinogänger hat keinen Grund zur Klage. Im Frühjahr zeigte das Zeughaus-Kino eine Korea-Reihe, im September und Oktober folgt nun im Rahmen der Asien-Pazifik-Wochen das Arsenal mit nicht weniger als dreißig Filmen. Eher unverständlich angesichts des Reichtums der koreanischen Filmgeschichte und -gegenwart bleibt freilich, dass es dabei zu etlichen Dubletten kommt.

Unter den Filmen findet sich manches, das auch bei uns schon im Kino zu sehen war, etwa die Filme von Kim Ki-duk, der im Westen mit Werken wie „The Isle“ (2000) als Regisseur mit Widerhaken bekannt wurde, inzwischen aber mit kontemplativeren Filmen wie „Frühling, Sommer, Herbst, Winter und Frühling“ aus dem Jahr 2003 oder der aktuellen Schweigeetüde „Bin Jip“ zum Arthouse-Liebling avanciert ist. Nach seinem Politdrama „Joint Security Area“ (2000) hat sich Park Chan-wook in den Jahren danach wiederum mit „Sympathy for Mr. Vengeance“ oder „Oldboy“ als Brutalitätskünstler etabliert, sein jüngstes Werk, „Sympathy for Lady Vengeance“ ist als Abschluss der Rachetrilogie gerade im Wettbewerb von Venedig zu sehen. Ein absolutes Highlight der Arsenal-Reihe ist Kim Ki-youngs ganz selten zu sehendes, 1960 gedrehtes Horror-Melodram „The Housemaid“ um einen Musiklehrer und dessen hinterhältiges Hausmädchen. Es kommt zu Eifersucht, Intrigen, Mord und Totschlag, und durch die verwinkelten Schwarz-Weiß-Bilder peitschen die Leidenschaften, dass einem bei aller Komik der Übertreibung Hören und Sehen vergeht.

Trotz aller Klischees besteht das koreanische Kino aber nicht nur aus der rabiaten Bearbeitung von Oberflächen und Emotionen, also einer Mixtur aus Gewalt und Melodram. Es gibt auch ruhiges Erzählkino mit politischen Untertönen, etwa den von einem Selbstmord zu seinen Gründen zurückerzählten Film „Peppermint Candy“ (2000) von Lee Chang-Dong, der als regimekritischer Romanautor anfing und heute der Kultur- und Tourismusminister seines Landes ist. Oder sogar einen grandiosen Experimentalfilm wie Park Ki-youngs „Nakta(dul)“ (2001), dessen atemberaubend lange Einstellungen den ungeduldigeren Teil des Publikums vor ein paar Jahren aus den Berlinale-Vorstellungen trieb.

Vor allem aber gibt es Hong Sang-soo, den wohl bedeutendsten koreanischen Gegenwartsregisseur. In Frankreich wird er schon seit langem gefeiert, in Deutschland war unbegreiflicherweise keiner seiner bisher sechs Filme außerhalb von Festivals und Filmmuseen zu sehen. Das Arsenal zeigt jetzt seine ersten beiden Werke, die die für diesen Regisseur typischen, recht rätselhaften Titel tragen: „Der Tag, an dem ein Schwein in den Brunnen fiel“ von 1996 und „The Power of Kangwon Province“ von 1998.

Auf den ersten Blick unterscheiden sich Hong Sang-soos Filme nicht sehr vom etablierten Kunstfilm etwa der Taiwanesen Hou Hsiao-Hsien oder Tsai Ming-Liang. In ruhigen und meist langen Einstellungen ereignet sich in recht alltäglichen Szenen nicht viel. Man fährt mit dem Zug in die Provinz, man spaziert durch einen Park, man betrinkt sich – Letzteres allerdings immerzu. Oder Mann begegnet Frau, Frau begegnet Mann. Sie sehen sich wieder, sie sehen sich nicht wieder. Es fällt im Nachhinein außerordentlich schwer, einzelne Szenen, an die man sich erinnert, den jeweiligen Filmen zuzuordnen. Immer wieder die Trinkgelage, die Gewaltausbrüche, Künstler voller Selbstmitleid zwischen Frauen, die sich oft zu vieles zu lange gefallen lassen. Die Figuren, die Geschichten gleichen sich, Hong ist, darin dem großen Yasujiro Ozu ähnlich, ein Meister der Variation im Seriellen, keiner, der sich von Film zu Film neu erfindet.

Park Chan-wook hat sich als Brutalitätskünstler etabliert

Bei näherem Hinsehen auf die Details aber wird klar: Er ist ein höchst hintergründiger Regisseur. Allerdings besteht das Hintergründige nicht so sehr in Verrätselungen, sondern eher in Wiederholungsstrukturen. In „The Power of Kangwon Province“ fährt eine junge Frau namens Jisook mit zwei Freundinnen aufs Land, sie lernt einen jungen Polizisten kennen, sie verlieben sich ineinander. Sie fährt zurück in die Stadt und dann noch einmal aufs Land, zurück zum Polizisten. In der Mitte des Films gibt es eine Schwarzblende, danach beginnt eine andere Geschichte. Ein Universitätsprofessor mit Namen Sang-kwon fährt in die Provinz, es ist derselbe Ort, nach und nach begreifen wir: Es ist auch dieselbe Zeit. Der Professor ist der Liebhaber der Frau aus dem ersten Teil, von dem sie sich gerade getrennt hat. Jisook und Sang-kwon werden sich nur einmal begegnen in diesem Film, aber nicht in der Provinz, sondern erst später, wenn beide zurück in der Stadt sind.

Oder die Sache mit dem Fisch. Jisook und ihre Freundinnen finden einen Fisch auf einem Waldweg. Jisook begräbt ihn. Im zweiten Teil sehen wir: Sang-kwon überlässt seiner Sekretärin zwei Goldfische in einer Schüssel zur Pflege. Als er, ganz am Ende, zurückkehrt, ist der eine Fisch verschwunden. Es gibt keine logische Verbindung zum Fisch auf dem Waldweg, nur eine motivische Verknüpfungsstruktur. Wie diesen Fisch verstreut Hong Sang-soo Zeichen, Motive, Figuren auf der Oberfläche seiner Geschichten. Er bietet dabei kaum einmal Figuren zur Identifikation, aber merkwürdige Zeichen zum Wiedererkennen. Es gibt keine Hierarchie der Bedeutungen in seinen Bildern und seinen Plots. Alles und nichts könnte sich aufeinander beziehen; was sich ereignet, gehorcht nur dem Zufall und nichts ist von Dauer.

Das klingt und ist immer wieder hoch irritierend, aber für jede Irritation wird man reichlich entschädigt, durch die Faszinationskraft von Szenen, die sich zu Geschichten fügen, die nie vorhersehbar sind. Und nicht zuletzt wird man auch durch die sehr trockene Komik belohnt, die sich im Einander-Verfehlen und Miteinander-Betrinken ebenso wie in den nicht seltenen Szenen des Miteinander-Schlafens entfaltet. Im großen Film-Kontinent Korea gibt es den kleinen „Kontinent“ Hong Sang-soo zu entdecken. Man sollte sich das nicht entgehen lassen.

Termine der Filme siehe taz-plan