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„Der Bruch war ein Neuanfang“

Die Comic-Zeichnerin Magdalena Kaszuba blickt in ihrem Debüt zurück auf das, was ihre Kindheit abrupt beendete: eine Beichte

Beim Blättern in den Ausgangsskizzen für ihr Comic-Debüt: Magdalena Kaszuba Foto: Miguel Ferraz

Interview Friederike Gräff

taz: In Ihrem Comic „Das leere Gefäß“ tauchen biblische Figuren, Heilige und Priester als Tiere und dämonische Gestalten auf. Wie haben Sie sich beim Zeichnen gefühlt, Magdalena Kaszuba?

Magdalena Kaszuba: Für mich war die Gottesfigur aus dem Alten Testament als Kind sehr angst­einflößend. Ich habe lange daran genagt, wie ich das zeichnerisch umsetzen kann. Bis ich etwas Gutes hatte, gab es zum Beispiel drei verschiedene Versionen von der Beicht-Szene, die für mich damals den Bruch mit der Kirche bedeutet hat.

War dieses Erlebnis der Ausgangspunkt für den Comic?

Nein. Ganz am Anfang stand ein Spaziergang durch Hamburg, ich hatte mein Skizzenbuch dabei und habe schnelle Zeichnungen von Sachen gemacht, die mir aufgefallen sind: das Wasser, Muscheln in den Schaufenstern und die Kirchen ringsum. Ich war ganz zufällig auf den Jakobsweg gestoßen und bin ihm einfach gefolgt. Da habe ich mich an die Ostsee erinnert, wie ich sie aus der Kindheit kenne, dazu kam diese religiöse Komponente – das hat diese Erinnerungen ausgelöst.

Das heißt, der Bruch mit der Religiösität Ihrer Familie hat Sie damals gar nicht so beschäftigt?

Ich glaube, dass ich es verdrängt hatte. Bei der zeichnerischen Auseinandersetzung mit dem Thema kam es Stück für Stück wieder hoch, und allmählich hat sich diese Beichte als der Punkt herausgestellt, an dem sich alles verändert hat. Das war nicht so geplant.

War Religion nach dieser Beichte, bei der Sie ein Priester drängte, mehr zu bekennen, noch einmal Thema in Ihrem Leben?

Es war als Kind sehr schwierig für mich, damit umzugehen und ich wusste auch nicht, an wen ich mich wenden sollte. Mit der Person, mit der ich eigentlich hätte sprechen sollen, dem Priester, war es ja nun schwierig. Und ich konnte mir nicht vorstellen, mit jemandem außerhalb der Kirche darüber zu reden. Von daher war es kein Thema mehr für mich, es war gestorben.

Ihre Mutter und Großmutter sind sehr religiös – hatten Sie Furcht, dass sie Ihre Fragen als Angriff verstanden hätten?

In der Nacht vor der Kommunion hatte ich schon Zweifel, aber für meine Mutter war es extrem wichtig, dass ich daran teilnahm, dass es ein Weg war, an dem ich dranbleiben sollte. Sie hatte darin sehr viel Arbeit investiert. Von daher habe ich es für sie gemacht.

Hatten Sie das Gefühl, dass der Priester Sie zu ganz bestimmten Aussagen in der Beichte bringen wollte oder ging es eher darum, dass Sie in seinen Augen unmöglich nur so wenig zu beichten haben konnten?

Eher um Letzteres. Ich war ein sehr schüchternes Kind, meine Erwartungen an die Beichte waren ohnehin schon riesig gewesen. Und dann, anders als ich es erwartet hatte, gab es keinen Beichtstuhl, sondern der Priester und ich saßen direkt voreinander. Da habe ich einfach etwas erfunden.

Die Beklemmung und Hilflosigkeit dieser Szene sind sehr spürbar. Es scheint schlüssig, dass sich nicht nur der Priester, sondern auch das Kind in ein fremdartiges Tier verwandelt.

Ich wollte vor allem das, was ich innerlich damals fühlte, nach außen hin darstellen, deswegen war ich dieses … seltsame Wesen geworden und habe versucht, das in der Zeichnung auszudrücken. Bei mir läuft fast alles über diese Ebene, weniger über das Geschriebene. Ich lasse Dinge aus der Zeichnung heraus entstehen und oft schlage ich in der Geschichte noch einmal einen ganz anderen Weg ein, wenn ich in der Zeichnung etwas Neues entdecke.

Erkaufen Sie diese Spontanität mit Anwandlungen von Unsicherheit, wohin die Reise gehen soll?

Ich habe keine Angst vor dem weißen Papier oder der scheinbaren Ziellosigkeit, ich weiß, dass ich es wieder wegwerfen und etwas ganz anderes machen kann. Das ist eine Art von Freiheit, die ich sehr schätze.

An einer Stelle in Ihrem Comic heißt es: „Ein Pole kann sein Land niemals ganz verlassen.“ Empfinden Sie das als etwas spezifisch Polnisches?

Eigentlich nicht. Es war immer ein Thema bei uns zu Hause, alleine deshalb, weil wir jedes Jahr dort waren. Als ich jünger war, habe ich noch nicht so klar verstanden, dass meine Familie das Land nicht unbedingt gern verlassen hat. Die Verbindungen zu den Verwandten sind immer noch aktiv, sie sehen sich polnische Nachrichten an und es ist immer noch offen, ob sie einmal zurückgehen.

Wie ist es für Sie, wie viel Polnisches gibt es in Ihrem Alltag?

Eher weniger, gelegentlich die Sprache, wenn ich mit meinen Eltern telefoniere. Ich versuche zurzeit, Polen in den Nachrichten zu verfolgen, ich lese auch Artikel, Literatur. Ich versuche mich da historisch zu informieren und auch tagespolitisch am Ball zu bleiben, weil im Land gerade viel passiert. Dafür habe ich mich früher weniger interessiert.

Magdalena Kaszuba

30, ist in Langenbielau in Polen geboren und in Deutschland aufgewachsen. Sie lebt und arbeitet in Hamburg, wo sie an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Illustration bei Anke Feuchtenberger studiert. Bisher zeichnete sie unter anderem Comics für Le Monde diplomatique, das Goethe-Institut China und Böll.Thema. Im Frühjahr 2018 erschien ihr Debüt „Das leere Gefäß“ im Avant-Verlag, für das sie einen Förderpreis von der Hans-Meid-Stiftung erhalten hat.

Ich fand es lustig, dass die ziemlich exzentrische Sängerin Björk die Figur im Comic ist, die Sie an Ihre Großmutter zurückdenken lässt.

Sie ist sehr besonders. Sie ist jemand, der sich nach außen sehr modern präsentiert, mit krass rot gefärbten Haaren und stark geschminkt. Es hat mich sehr irritiert, wenn wir dann zusammen in die Kirche gegangen sind, ich musste begreifen, dass beide Seiten zu ihr gehörten.

Wie würden Sie das benennen, was für Sie durch den Bruch mit diesem Glauben auf der Strecke blieb?

Diese kleine neunjährige Magdalena, die ich heute nicht mehr kenne. Der Bruch war für mich wie ein Neuanfang. Im Nachhinein denke ich, dass ich auch nach außen hätte gehen können, zu meiner Mutter oder jemand anderem. Aber damals war es der einzige Weg für mich.

War es schwierig, einen Verlag für ein solches Thema zu finden: die Verstörung eines Kindes im Religiösen?

Ich habe den Comic erst einmal im Selbstverlag herausgegeben, dann an Verlage geschickt und dann eine Zusage bekommen – und dann auch einen Preis damit gewonnen.

Das klingt sehr abgeklärt – war das nicht ein unglaublicher Erfolg?

Ich war sehr überrascht: Der Comic ist sehr anders und ich dachte, er landet in der Schublade. Ich wollte damit einfach alles ausprobieren, worauf ich Lust hatte und dann würde ich etwas versuchen, das ein Verlag annehmen könnte. Jetzt freue ich mich riesig – aber es ist noch sehr unwirklich.

Doppel-Comicreleaseparty mit Antonia Kühn „Lichtung“ (Reprodukt) und Magdalena Kaszuba „Das leere Gefäß“ (Avant-Verlag): 22. März, 19.30 Uhr, Strandgutfischer, Wohlwillstraße 20, Hamburg. Der Eintritt ist frei.

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