Pressefreiheit versus Strafverfolgung

Unter Berufung auf Antiterrorgesetze versucht Sachsen das Zeugnisverweigerungsrecht auszuhebeln. Gestrige Sondersitzung des Landtags bleibt ohne größere Konsequenzen

DRESDEN taz ■ Gemessen an den Gepflogenheiten des Boulevardjournalismus war am 24. Mai 2005 in Dresden etwas ganz Alltägliches passiert: Ein Reporter der Dresdner Morgenpost (Mopo) bekam Wind von einer prominenten Hausdurchsuchung und fand sich zur besten Frühstückszeit vor jenem Haus ein. Er schoss ein paar Fotos und schrieb einen gepfefferten Artikel. Was gestern zur Sondersitzung des Sächsischen Landtags führte, war allerdings der Umstand, dass jetzt die Chemnitzer Staatsanwaltschaft gegen den Reporter ermittelt und seine Telefonverbindungen rückwirkend für fünf Wochen protokolliert wurden. Denn bei der von der Kripo überraschend geweckten Person handelte es um eine der Ikonen der früheren Biedenkopf-Regierung in Sachsen: Ex-Wirtschaftsminister Kajo Schommer (CDU).

Ein dubioser Beratervertrag mit dem Dualen System Deutschland, mit 600.000 Euro dotiert, hatte Verdacht erregt. Darauf aufmerksam geworden war die erst im Vorjahr gegründete sächsische Anti-Korruptionseinheit INES.

CDU-Empörung

Für die derzeit in großer Koalition mit der SPD regierenden Christdemokraten war das schon unangenehm genug. Und jetzt auch noch ein Foto mit Exminister im Schlafanzug! – Empörung machte sich breit. CDU-Fraktionschef Fritz Hähle empfindet noch heute so: „Es kann doch nicht sein, dass bei jedem Anfangsverdacht gleich ein Reporter vor der Tür steht. Das kommt einer Vorverurteilung gleich.“ Nicht das es Hähle dabei um allzu viel Ethik geht: „Wenn das Raum greift, dann ‚Gute Nacht‘, Investorenstandort Sachsen.“

Doch viel wichtiger als der Fall Schommer war für die Justizbehörden, wer dem Reporter den Termintipp gab. Obwohl mehrere Behörden von der geplanten Aktion gewusst haben konnten, richteten sich Nachforschungen ausschließlich gegen den Mopo-Mann – und gegen die Korruptionsbekämpfer, die offenbar zu unbequem werden. Die vom Generalstaatsanwalt beauftragten Ermittler wollte ursprünglich sogar die Telefonverbindungsdaten aller INES-Mitarbeiter erheben, bekamen aber nur den Mopo-Reporter genehmigt. Gegen INES-Staatsanwalt Andreas Ball läuft parallel ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Geheimnisverrat.

Justizminister Geert Mackenroth (CDU) rechtfertigte gestern die rabiaten Methoden. Zwischen Pressefreiheit und der Pflicht zur Strafverfolgung müsse abgewogen werden. Man habe sich im Übrigen streng rechtsstaatlich verhalten. Damit meint Mackenroth den Paragrafen 100 g der Strafprozessordnung, der – 2002 zur Terrorismusbekämpfung eingeführt – es nur bei Straftaten von „erheblicher Bedeutung“ und unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit erlaubt, Telefondaten zu erheben. „Geheimnisverrat ist schwerwiegend“, so der Justizminister.

Weitere Fälle?

Die Landespressekonferenz Sachsen sprach von einem „unverhältnismäßigen Eingriff in die schutzwürdigen Rechte der Medien“. Sogar Fraktionschef Cornelius Weiss vom Koalitionspartner SPD beschied, hier sei mit „Kanonen auf Spatzen geschossen worden“, Er verlangte gestern zwar nicht mehr eine volle Entschuldigung, aber eine „Geste des Bedauerns“ vom Justizminister. Die kam prompt.

Unter JournalistInnen ist nicht nur in Sachsen große Unruhe entstanden. „Die Novelle der Strafprozessordnung ist praktisch gescheitert, wenn sie zu einem Machtinstrument gegen die Presse wird“, meint Landespressekonferenzchef Gunnar Saft, Redakteur bei der Sächsischen Zeitung. „Man trifft sich mit Informanten halt doch besser persönlich an einem verschwiegenen Ort.“

Denn bis heute ist unklar, ob es sich überhaupt um einen Einzelfall handelt oder es noch andere Betroffene gibt. In Journalistenkreisen wird von weiteren Einschüchterungsversuchen und Ermittlungsverfahren gegen sächsische Medien, die zu brisanten Themen wie beispielsweise der Sächsischen Landesbank recherchieren, berichtet.

MICHAEL BARTSCH